Pädagogische Professionalität und Mehrsprachigkeit im Kindergarten
Die Sprach- und Bildungswissenschaftlerinnen Verena Platzgummer und Nadja Thoma haben mit Unterstützung durch die Landeskindergartendirektion im Rahmen von zwei Forschungsprojekten bei Eurac Research untersucht, welche Rolle Mehrsprachigkeit und sprachliche Bildung in Südtiroler Kindergärten spielen. Um dieser Frage nachzugehen, haben sie ein Jahr lang intensiv am Alltag von drei Kindergärten teilgenommen, die von Kindern mit unterschiedlichen sprachlichen Hintergründen besucht werden. Welche Antworten sie dabei gefunden haben und was diese für die pädagogische Professionalität im Kindergarten bedeuten, erzählen sie in diesem Beitrag.
Während sich die Schulforschung schon länger mit sprachlicher Bildung und Mehrsprachigkeit auseinandergesetzt hat, wird eine solche Forschung im frühkindlichen Bereich erst seit ungefähr zehn Jahren intensiv betrieben. Entsprechende Einsichten aus verschiedenen europäischen Kontexten wie Deutschland, Österreich, Frankreich oder Schweden sind interessant, aber nicht unbedingt übertragbar auf den Südtiroler Kontext. Diesem ähnlicher sind mehrsprachige Gebiete wie Luxemburg, Teile der Schweiz oder Finnlands. Weil jedoch jeder Kontext einzigartig ist und das Südtiroler Beispiel vielleicht auch andernorts neue Perspektiven eröffnen kann, erschien es uns notwendig, den Umgang mit Sprache und Mehrsprachigkeit in deutschsprachigen Kindergärten in Südtirol zu untersuchen.
Schon bevor wir unsere Forschung begonnen haben, war uns bewusst, wie komplex die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte in diesem Bereich ist. Sie bewegen sich in einem Spannungsfeld aus verschiedenen, teils widersprüchlichen Anforderungen, die die Bildungspolitik, institutionelle Vorgaben, die Schule und Eltern an sie stellen und gehen ihrer Arbeit unter Bedingungen nach, in denen sie gleichzeitig für die Bildung und das körperliche und psychische Wohlergehen einer Gruppe von Kindern verantwortlich sind. Eine derartige Tätigkeit erfordert ein hohes Maß an Professionalität.
Für unsere Forschung hatten wir uns bewusst sprachlich vielfältige Kindergärten ausgesucht, in denen die Kinder aus Familien kommen, in denen unterschiedlichste Sprachen und Sprachkombinationen gesprochen werden. Viele Kinder waren schon beim Eintritt in den Kindergarten mehrsprachig, während andere es spätestens dort wurden. Neben nonverbalen Ausdrucksformen, die auch wichtig waren, haben sich die Kinder in den Forschungskindergärten untereinander zum Teil auf Italienisch, zum Teil auf Deutsch oder in deutschem Dialekt verständigt, wobei es in den verschiedenen Kindergärten unterschiedliche Schwerpunkte gab. Andere Sprachen, etwa Albanisch oder Arabisch, die manche Kinder als gemeinsame Sprache hatten, haben sie in unserer Anwesenheit allerdings nie miteinander gesprochen. Häufig haben wir beobachtet, dass Kinder ihr gesamtes sprachliches Repertoire verwenden und Elemente aus Italienisch, Deutsch und Dialekt miteinander kombinieren, etwa wenn sie sagen: „Adesso è Mittagessen“, „Perché non hai più le patschelen?“ oder „Posso grün?“
In den Rahmenrichtlinien für den deutschsprachigen Kindergarten wird sprachliche Bildung als durchgängiges Prinzip im pädagogischen Alltag beschrieben, wobei den verschiedenen Dialekten und dem Hochdeutschen, sowie der Zwei- und Mehrsprachigkeit besondere Beachtung zukommen soll. Diesem Gedanken wurde in den Forschungskindergärten auf unterschiedliche Art und Weise Rechnung getragen, allerdings mit einigen gemeinsamen Prinzipien. Üblicherweise sprachen die pädagogischen Fachkräfte Standarddeutsch mit den Kindern, was sie im Sinne der Rahmenrichtlinien als Teil ihres Bildungsauftrages verstanden. Mit den Kindern, von denen bekannt war, dass diese auch einen Südtiroler Dialekt sprechen, verwendeten sie häufig auch Dialekt, was die Fachkräfte wiederum mit ihrer persönlichen Überzeugung über den Wert des Dialekts begründeten. Zwei- und Mehrsprachigkeit spielten einerseits insofern eine Rolle, als dass jegliche Ausdrucksmöglichkeiten der Kinder angenommen wurden – d.h. den Kindern wurde nie verboten, etwas anderes als Deutsch zu sprechen, und sie wurden auch nicht strikt dazu angehalten, Deutsch zu sprechen. Diese Abwesenheit von Deutschgeboten oder Verboten anderer Sprachen, wie wir sie aus der Forschungsliteratur kannten, hat uns positiv überrascht. Eine Strategie, um den Kindern dennoch das Standarddeutsche nahezubringen, war zum Beispiel die Reformulierung, wobei die pädagogischen Fachkräfte z.B. italienische Wortmeldungen der Kinder auf Deutsch wiederholten:
Pädagogin: „Kannst du die Zahl schon lesen?“
Kind: „Ventuno.“
Pädagogin: „Genau! Einundzwanzig auf Deutsch“
Zwei- und Mehrsprachigkeit spielte auch dann eine Rolle, wo nicht sprachliche Bildung, sondern andere pädagogische Ziele im Mittelpunkt standen. So griffen pädagogische Fachkräfte oft auf ihre eigene Mehrsprachigkeit, im Italienischen oder auch im Englischen, zurück, wenn es darum ging, eine Beziehung zu einem Kind aufzubauen, oder ein Kind zu trösten oder zu maßregeln. Die gelebte Mehrsprachigkeit im Kindergarten beschränkte sich dabei, bis auf symbolische Willkommensbekundungen in den Familiensprachen der Kinder (wie auf dem Bild aus einem anderen Kontext), auf jene Sprachen, die auch den pädagogischen Fachkräften bekannt waren.
Insgesamt haben wir also beobachtet, dass in sprachlich vielfältigen Südtiroler Kindergärten großer Wert auf die Förderung der deutschen Standardsprache gelegt wird, dass auch Südtiroler Dialekte zum Teil gefördert werden und dass Mehrsprachigkeit darüber hinaus wertgeschätzt wird – wenn das auch (noch) nicht als Teil der sprachlichen Bildung betrachtet wird. Die Herausforderungen, die sich in diesem Zusammenhang für pädagogische Fachkräfte ergeben, reflektieren sie in ihren Teams und schaffen so Zeit und Raum für die professionelle Weiterentwicklung ihrer pädagogischen Tätigkeit. In Workshops haben wir sie außerdem dabei unterstützt und hoffen, das in Zukunft weiter ausbauen zu können.