Integration als Schlüssel zur Inklusion
Die Arbeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Integration ist eine zentrale Säule im Bildungssystem Südtirols. Sie begleiten Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen und unterstützen deren Entwicklung in verschiedenen Lebensbereichen. INFO sprach mit Marina Kuppelwieser und Kathrin Ralser aus der Pädagogischen Abteilung über ihre Aufgaben und die Bedeutung von Inklusion.
Marina Kuppelwieser und Kathrin Ralser sind erfahrene Fachkräfte im Bereich Inklusion und Integration. Marina Kuppelwieser war über 20 Jahre an Südtiroler Schulen tätig und ist seit 2022 an der Pädagogische Abteilung, wo sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration begleitet und das Projekt Lebensplanung an Schulen organisiert. Kathrin Ralser bringt langjährige Erfahrung als Grundschullehrerin und stellvertretende Direktorin mit und arbeitet seit 2020 an der Pädagogische Abteilung, wo sie die Ressourcenplanung und Vernetzung koordiniert.
INFO: Was sind die Aufgaben von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Integration?
Marina Kuppelwieser (MK): Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration arbeiten mit den Lehrkräften bzw. dem Kindergartenpersonal unter Berücksichtigung des Individuellen Bildungsplanes (IBP) bei der Umsetzung von didaktischen Maßnahmen zusammen. Sie sind nach den Vorgaben des Individuellen Bildungsplanes (IBP) im integrativen Kontext von Kindergärten, Grund-, Mittel- und Oberschulen sowie berufsbildenden Schulen auch selbständig tätig und unterstützen das Kind bzw. die Schülerin und den Schüler mit Beeinträchtigung im praktisch-funktionellen Bereich sowie auf der Beziehungs- und Kommunikationsebene, um die Teilnahme an allen Aktivitäten der Bildungseinrichtung zu gewährleisten. In Zusammenarbeit und im Austausch mit den anderen pädagogischen und medizinischen Fachkräften fördern sie die persönliche und soziale Autonomie des begleiteten Kindes bzw. der Schülerin und des Schülers und beobachten und dokumentieren die Entwicklung in den verschiedenen Bereichen.
Kathrin Ralser (KR): Außerdem beraten sie bei der Anschaffung spezifischer Lehr- und Hilfsmittel und passen didaktisches Material an die Bedürfnisse des Kindes, der Schülerin oder des Schülers an, mit dem Ziel, den IBP und die vereinbarten Rehabilitationsprogramme zu erfüllen. Sie stellen eine Ressource für das pädagogische Team bzw. den Klassenrat dar und führen mit den Kindern bzw. Jugendlichen einzeln oder in der Kleingruppe gezielte Aktivitäten durch.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Fach- und Integrationslehrpersonen, um inklusive Maßnahmen erfolgreich umzusetzen?
KR: Pädagogisches Personal und Lehrpersonen sind jeweils einer bestimmten Schulstufe zugeordnet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration können von ihrem Arbeitsauftrag her zwischen Bildungsstufen wechseln, das heißt sie können die Schülerin oder den Schüler stufenübergreifend begleiten. Diese Kontinuität ermöglicht eine stabile Förderung, da ein Kind über mehrere Jahre von derselben Person betreut werden kann, auch wenn die Integrationslehrperson oder Fachlehrkräfte wechseln. Ein weiterer wesentlicher übergreifender Aspekt in der Zusammenarbeit ist die Förderung der Eigenständigkeit der Kinder sowie der Schüler und Schülerinnen: Es ist wichtig, sie angemessen zu begleiten, ihnen aber auch ein gewisses Maß an Selbständigkeit zu ermöglichen, damit sie im Alltag zurechtkommen.
MK: Dem kann ich nur beipflichten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration sind vor allem für die Begleitung bei Fördermaßnahmen zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Lernenden zuständig, während (Integrations-)Lehrkräfte primär für das schulische Lernen verantwortlich sind. Eine optimale Förderung wird durch die Zusammenarbeit beider Berufsbilder angestrebt, wobei Inklusion als gemeinsames Ziel verfolgt wird. Es geht nicht darum, die Schülerinnen und Schüler in jeder Situation und zu jeder Zeit zu betreuen, sondern ihnen die Fähigkeiten für ein selbstbestimmtes Leben zu vermitteln und diese zu fördern.
KR: Die Grundlage für diese Zusammenarbeit ist der Individuelle Bildungsplan, der die Ausgangskompetenzen, die Ziele sowie die geplanten Maßnahmen und Hilfsmittel beinhaltet. Die Lehrpersonen planen gemeinsam mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter für Integration, passen die Materialien an die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Schülerinnen und Schüler an und dokumentieren die Lernfortschritte.
Wie darf man sich einen Tag einer Mitarbeiterin und eines Mitarbeiters für Integration vorstellen, welche besonderen Herausforderungen gibt es?
KR: Die Art der Beeinträchtigung eines zu begleitenden Kindes oder Jugendlichen variiert stark, was sich direkt auf die Tätigkeiten einer Mitarbeiterin und eines Mitarbeiters für Integration auswirkt. Auch hängen die Herausforderungen vom Arbeitsplatz ab: Dieser kann sich im Kindergarten, der Grund- oder Mittelschule, oder in einer berufsbildenden Schule oder Oberschule befinden. Ein „typischer“ Arbeitstag einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters für Integration kann sehr unterschiedlich sein, je nach den Bedürfnissen der zu begleitenden Kinder und Jugendlichen und je nach Schulstufe.
Zu den zentralen Aufgaben unserer Berufsgruppe gehören die Unterstützung beim Erlernen lebenspraktischer Fähigkeiten, die Hilfe bei der täglichen Pflege und Versorgung, die Begleitung und Unterstützung beim schulischen Lernprozess, die Förderung sozialer Kompetenzen und die Integration in die Gemeinschaft.
Welche Fähigkeiten muss man mitbringen?
MK: Die Arbeit erfordert ein hohes Maß an Empathie, Flexibilität und die Fähigkeit, mit vielfältigen Herausforderungen umzugehen. Dazu gehören auch das Eingehen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, der regelmäßige Austausch und die Zusammenarbeit mit Erziehungsverantwortlichen, Lehrkräften und externen Diensten, der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu Kindern und Jugendlichen, die nicht immer eindeutige und einfache Balance zwischen Unterstützung und Förderung der Selbständigkeit, sowie fundierte Kenntnisse in verschiedenen Bereichen.
Wie wird sichergestellt, dass der IBP den Bedürfnissen der Lernenden gerecht wird und kontinuierlich angepasst wird?
KR: Dieser Plan beschreibt die Ausgangskompetenzen und die am Ende des Schuljahres zu erreichenden Ziele, wobei der Schwerpunkt auf den Fortschritten, die erreicht werden, liegt. Der IBP wird in gemeinsamen Sitzungen mit den Erziehungsverantwortlichen erstellt und von allen am Prozess beteiligten unterzeichnet, wodurch er nicht nur eine Arbeitsunterlage ist, sondern eine Kooperationsvereinbarung darstellt. Alle Betroffenen werden in die Ausarbeitung einbezogen, ab einem bestimmten Zeitpunkt auch die Schülerinnen und Schüler, und die Ziele werden gemeinsam mit ihnen besprochen. Zweimal pro Schuljahr wird von der Schulführungskraft eine gemeinsame Sitzung einberufen, bei der der IBP evaluiert bzw. angepasst wird.
MK: Wenn ein Kind, eine Schülerin oder ein Schüler die im IBP besprochenen und vereinbarten Kompetenzen nicht erreicht, wird ein zieldifferenter Weg eingeschlagen. Es gibt in diesem Fall am Ende der jeweiligen Bildungsstufe vonseiten der Schule eine Bescheinigung der Kompetenzen; am Ende der Mittelschule erhält die oder der Betroffene, sofern er oder sie sich der Prüfung stellt, ein Diplom, während in der Oberschule lediglich ein Zertifikat über die erreichten Kompetenzen ausgestellt wird, also kein Maturadiplom, wenn nach einem zieldifferenten Plan gearbeitet wurde. Wenn die Jugendlichen erfolgreich nach dem Lehrplan der Klasse arbeiten, können sie die Reifeprüfung ablegen, die auch für die Universität gültig ist.
Der gemeinsame Unterricht mit Gleichaltrigen spielt eine entscheidende Rolle.
KR: Es gibt aber auch Lernende mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung, die ein höheres Maß an Unterstützung benötigen. In solchen Fällen wird eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter für Integration zugewiesen, um den Betroffenen oder die Betroffene in den Bereichen Autonomie und Selbständigkeit zu unterstützen. Zusätzlich wird der Klasse eine Integrationslehrkraft zugeteilt, die die didaktische Verbindung herstellt und eng mit der Fachlehrkraft zusammenarbeitet. Alle drei Berufsprofile ergänzen sich und stimmen sich ab, um gemeinsam am IBP zu arbeiten.
Wie wird die soziale Interaktion innerhalb der Klasse und der Schulumgebung eines Kindes gefördert?
KR: Das ist ein komplexer Prozess, der von mehreren Faktoren abhängt. Ein zentraler Aspekt ist die Haltung der gesamten Kindergarten- bzw. Schulgemeinschaft gegenüber Vielfalt und Inklusion. Eine offene und wertschätzende Haltung gegenüber unterschiedlichen Hintergründen und Fähigkeiten ist unerlässlich.
Der gemeinsame Unterricht mit Gleichaltrigen spielt eine entscheidende Rolle. Es ist wichtig, die Interessen der Kinder und Jugendlichen zu kennen und in den Schulalltag zu integrieren. Dies fördert nicht nur das individuelle Engagement, sondern schafft auch gemeinsame Anknüpfungspunkte. Inhaltlich sollte an den gleichen Themen gearbeitet werden, wobei die Anforderungen an das Niveau eines beeinträchtigten Kindes bzw. Jugendlichen angepasst werden müssen. Dies ermöglicht eine inklusive Lernumgebung, in der alle Lernenden voneinander profitieren können.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration sind eine Ressource für die Kindergarten- und Schulgemeinschaft?
MK: Absolut, und als solche sollten sie auch gesehen und genutzt werden. Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter für Integration ist zwar einem bestimmten Kind, einem Schüler, einer Schülerin zugewiesen, kann aber im inklusiven Gedanken in der Gruppe bzw. im Unterricht stets auch eine (Klein-)Gruppe begleiten. Für die Akzeptanz in der Gruppe ist es hilfreich, wenn die Bezugspersonen immer direkt mit dem Kind kommunizieren, anstatt über es zu sprechen.
Auch gemeinsame Pausen, Ausflüge und Klassenfahrten sind wichtige Elemente des sozialen Miteinanders und tragen wesentlich zu einer gelingenden Inklusion bei. All diese Maßnahmen fördern ein positives und inklusives Umfeld, in dem jedes Kind und alle Jugendlichen die Möglichkeit haben, sich sozial und emotional zu entwickeln.
Wie darf man sich die Zusammenarbeit mit den Eltern und Erziehungsverantwortlichen vorstellen, um die bestmögliche Unterstützung für das Kind zu gewährleisten?
KR: Die Zusammenarbeit mit den Eltern und Erziehungsverantwortlichen ist entscheidend für die bestmögliche Förderung eines beeinträchtigen Kindes und Jugendlichen. Es ist wichtig, die Eltern aktiv in das schulische Lernen einzubeziehen. Dies erfordert einen regelmäßigen Austausch während des gesamten Schuljahres zu festgelegten Zeiten. Dieser Austausch kann durch persönliche Gespräche, Telefonate oder Nachrichten zum Beispiel über das digitale Register oder Plattformen wie Teams erfolgen.
Ein wesentlicher Bestandteil dieses Austausches sind die Besprechungen des IBP zu Beginn des Schuljahres und die Evaluation gegen Ende desselben. Die Schule hat die Aufgabe, die Sorgen und Bedenken der Eltern ernst zu nehmen. Es ist wichtig, dass nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration, sondern auch die Fach- sowie die Integrationslehrpersonen den Kontakt zu den Eltern halten.
inige ausgeschriebene Stellen konnten auch für dieses Kindergarten- und Schuljahr nicht mit qualifiziertem Personal besetzt werden, weshalb die Stellen im Wege der Direktberufung vergeben wurden.
Welche Ausbildung braucht es als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter für Integration in Südtirol?
MK: Für die Ausbildung als Mitarbeiter und Mitarbeiterin für die Integration von Kindern sowie Schülern und Schülerinnen mit Beeinträchtigungen gibt es zwei unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten. Entweder besitzen Interessierte den Abschluss der Mittelschule und den Abschluss einer mindestens zweijährigen weiterführenden Vollzeitausbildung bzw. den Abschluss einer Berufsausbildung sowie das Berufsbildungsdiplom als Sozialbetreuer und Sozialbetreuerin oder sie sind im Besitz eines Maturadiploms. Die ausgebildeten Sozialbetreuer und Sozialbetreuerinnen, welche eine mindestens zweijährige weiterführende Vollzeitausbildung oder eine Lehre abgeschlossen haben, besuchen von September bis Ende Januar des Schuljahres die „Methodisch-didaktische Spezialisierung“. Die Bewerberinnen oder Bewerber mit einer staatlichen Abschlussprüfung besuchen hingegen sowohl die „Methodisch-didaktische Spezialisierung“, die von September bis Ende Januar stattfindet, als auch die Fachausbildung „Heilpädagogik“ von Februar bis Ende Juni. Damit erhält man dann das Diplom als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter für Integration.
Gibt es in Südtirol ausreichend Mitarbeitende für Integration, die eine entsprechende Ausbildung haben?
KR: Der Fachkräftemangel in diesem Bereich ist auch in Südtirol ein Thema. Einige ausgeschriebene Stellen konnten auch für dieses Kindergarten- und Schuljahr nicht mit qualifiziertem Personal besetzt werden, weshalb die Stellen im Wege der Direktberufung vergeben wurden. Mittlerweile konnte jedoch in allen Fällen Personal gefunden werden.
Die Ausbildung und Professionalisierung von Fachkräften ist aber nach wie vor notwendig und die institutionelle Unterstützung könnte sicherlich noch verbessert werden. Die Pädagogische Abteilung arbeitet daran, Netzwerke zu intensivieren und Fortbildungen zu organisieren, um die Kompetenzen des Personals zu stärken.
Wie unterstützt die Deutsche Bildungsdirektion die Mitarbeitenden für Integration?
KR: Die Bildungsdirektion unterstützt das Integrationspersonal auf vielfältige Weise: Durch Möglichkeiten der Vernetzung und Kooperation, wobei die Bildungsdirektion als Bindeglied zwischen den verschiedenen Partnern wie dem Psychologischen Dienst, der Fachambulanz und dem Büro für Menschen mit Behinderung fungiert. Diese Zusammenarbeit ermöglicht einen kontinuierlichen Austausch und die Entwicklung gemeinsamer Strategien.
Die Pädagogische Abteilung unterstützt Zukunftsplanungsprozesse für Jugendliche mit Beeinträchtigungen, um deren individuelle Bedürfnisse und Zukunftsperspektiven zu eruieren.
MK: Außerdem werden durch innovative Unterstützungsmöglichkeiten gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neue Wege gesucht, um die Schülerinnen und Schüler zu fördern und bestehende Kontakte zu pflegen. Dazu gehört auch die Organisation von Kooperationen, zum Beispiel mit Moderatorinnen der Zukunftsplanung. Die Pädagogische Abteilung unterstützt Zukunftsplanungsprozesse für Jugendliche mit Beeinträchtigungen, um deren individuelle Bedürfnisse und Zukunftsperspektiven zu eruieren.
In Zusammenarbeit mit der Freien Universität Bozen und verschiedenen Netzwerkpartnern organisiert die Pädagogische Abteilung Fortbildungen, insbesondere für Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger sowie „Direktberufene“. Ziel der Fortbildungen ist die Professionalisierung und Kompetenzerweiterung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration.
Was gilt es in Südtirol noch zu verbessern, damit die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration noch besser klappt?
MK: Um die Tätigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration attraktiver zu gestalten, sind sicherlich verschiedene Maßnahmen notwendig. Zunächst ist eine bessere gesellschaftliche Anerkennung erforderlich. Es ist von entscheidender Bedeutung, das Bewusstsein und die Wertschätzung für die Arbeit der Mitarbeitenden für Integration in der Gesellschaft zu erhöhen. Dabei spielt eine bessere finanzielle Entlohnung eine nicht unwesentliche Rolle und beeinflusst die Attraktivität des Berufsbildes erheblich. Die Schaffung von Vollzeitarbeitsplätzen bzw. die Gewährleistung von Arbeitsplatzsicherheit würde den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Planungssicherheit bieten. Dies könnte zudem dazu beitragen, die Fluktuation zu reduzieren und erfahrene Fachkräfte langfristig zu binden.
KR: Ich denke außerdem, dass die Zuordnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Integration zu den einzelnen Direktionen eine Möglichkeit darstellen könnte, um eine bessere Unterstützung und Koordination zu ermöglichen und dazu beizutragen, dass sie sich als bedeutender Teil einer unterstützenden Gemeinschaft erleben.