Integration

Der Avatar – mittendrin im Schulalltag trotz schwerer Krankheit

Donnerstag, 23.1.2025

Eine Schülerin der Mittelschule Toblach kann aufgrund einer schweren Krankheit derzeit nicht in die Schule gehen. Dennoch bleibt sie ein aktiver Teil ihrer Klassengemeinschaft – dank eines Avatars, der sie virtuell in den Unterricht bringt.

Für ein Schulkind aus der Mittelschule Toblach hat sich das Leben von einem Tag auf den anderen stark verändert. Eine schwere Krankheit zwingt das Mädchen, sich entweder zu Hause oder im Krankenhaus aufzuhalten, während ihre Mitschülerinnen und Mitschüler den Alltag in der Schule erleben. Der Verlust des direkten Kontakts zur Schule und zu den Freundinnen stellt nicht nur eine fachliche, sondern vor allem eine soziale Herausforderung dar. Doch durch die Initiative der Schule und der Deutschen Bildungsdirektion sowie in Zusammenarbeit mit innovativen Technologien ist es gelungen, eine Brücke zu bauen: Ein Avatar, gesteuert vom Mädchen selbst, ermöglicht ihre virtuelle Anwesenheit im Klassenzimmer. Dieser Avatar – eine weiße Büste mit Kamera, Lautsprecher und steuerbarem Kopf – steht auf einem Schultisch und bringt die Schülerin akustisch und visuell in den Unterricht ein.

Aber wie funktioniert der Alltag mit einem Avatar? Was bedeutet diese neue Form der Präsenz für die betroffene Schülerin, ihre Familie, ihre Klasse und die Lehrerinnen und Lehrer? Und welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus der Nutzung moderner Technologien in der Schule?

Im Interview gibt die Integrationslehrerin Maria Cristina Vittone der Mittelschule Toblach detaillierte Einblicke in ihre Erfahrungen, den Einsatz der digitalen Hilfsmittel und die emotionalen Aspekte dieses besonderen Projekts.

Maria Cristina Vittone

INFO: Wie funktioniert der Avatar konkret im Unterricht, und wie reagiert die Klasse darauf?
Maria Cristina Vittone: Der Avatar steht auf einer Schulbank. Er ist eine von der Schülerin mit Aufklebern gestaltete Büste mit einem Kopf. Die Augen des Avatars, wie zwei kleine Lampen, können von der Schülerin gesteuert werden: Sie wirken lustig, traurig oder müde. Auf dem Kopf ist eine Leuchtfläche integriert. Wenn das Licht weiß ist, bedeutet es, dass die Schülerin anwesend ist; wenn es grün leuchtet, meldet sie sich zu Wort; und blaues Licht bedeutet, dass die Schülerin zwar anwesend ist, aber nicht angesprochen werden möchte. Oberhalb der Augen ist eine Kamera, durch die die Schülerin auf ihrem Tablet das Klassengeschehen verfolgen kann. Den Kopf kann sie auch steuern, indem sie ihn dreht, senkt oder hebt. Auf der Büste befindet sich ein Lautsprecher, wodurch sie mit Lehrkräften sowie Mitschülerinnen und Mitschülern kommunizieren kann.

Wie war die Einführung des Avatars in den Unterricht?
Die erste Anwesenheit der Schülerin durch den Avatar in der Klasse war sehr bewegend. Es war unsere Direktorin dabei, und wir waren alle sehr gespannt und gleichzeitig gerührt. Diese neue Figur im Klassenzimmer erschien mir sofort als eine grandiose zusätzliche Ressource für die Inklusion. Natürlich ist der Avatar zu Beginn gewöhnungsbedürftig, aber schon, als ich zum ersten Mal durch den Avatar die Stimme der Schülerin gehört habe und ihre Interaktion erlebte, war ich von dieser für mich großartigen Erfindung begeistert.

Die Mitschülerinnen und Mitschüler sowie auch die Eltern wurden auf den Einsatz und die Funktion des Avatars vorbereitet und informiert. Die Kinder waren sehr neugierig und gespannt und haben den Avatar unglaublich schnell als normalen Bestandteil des Unterrichts akzeptiert. Die Mitschülerinnen und Mitschüler kommunizieren ganz selbstverständlich mit der Schülerin über den Avatar, und ich denke, es hat ihnen auch geholfen, Empathie für Lebenssituationen und Offenheit für neue Technologien zu entwickeln.

Welche technischen oder organisatorischen Hürden gibt es bei der Nutzung des Avatars und der digitalen Hilfsmittel?
Ja, die Technik ist leider nicht immer zu 100 Prozent verlässlich. Die Internetverbindung sollte natürlich stabil sein, und man muss darauf achten, dass der Avatar immer geladen ist. Dafür kommt er nach Schulschluss ins Sekretariat, wo er dann am Morgen geholt wird. Was die Bedienung des Avatars betrifft, fand eine Einführung für alle Beteiligten statt, und diese verlief absolut problemlos.

Gibt es auch organisatorische Schwierigkeiten, die im Alltag immer wieder auftreten?
Leider können wir den Avatar aus unterschiedlichen Gründen nicht immer einsetzen. Aber wir haben ja auch andere Mittel, wie zum Beispiel den Unterricht über Teams oder den Hausunterricht, bei dem ich die wichtigen Inhalte der einzelnen Fächer in konzentrierter Form mit der Schülerin durchgehe. Auch der Kontakt mit der Krankenhausschule funktioniert sehr gut. Wir haben der Schülerin alle Lehrbücher doppelt ausgehändigt – einmal für zuhause und einmal für das Krankenhaus. Ich teile der Lehrperson immer die Inhalte und Arbeitsaufträge mit, und wir halten ständig Rücksprache.

Organisatorisch ist es natürlich notwendig, dass eine Lehrperson alles koordiniert und mit dem gesamten Klassenrat laufend in Kontakt bleibt. Es werden Unterrichtsmaterialien und Unterlagen eingeholt und weitergegeben, Lernstandserhebungen durchgeführt, Inhalte nachgeholt usw. Von enormer Wichtigkeit ist die Zusammenarbeit mit dem Elternhaus, und diese funktioniert in unserem Fall prächtig. Man muss ständig kommunizieren und auch von den Eltern erfahren, was verlangt werden darf und wie viel verlangt werden soll. Es ist wichtig, ein gutes Gleichgewicht zu finden, um die Schülerin nicht unter Druck zu setzen, ihr aber auch nicht das Gefühl zu geben, unterfordert zu sein.

Was ist das Feedback der Schülerin, und wie erleben es die anderen Kinder in der Klasse?
Die Schülerin und ihre Familie empfinden den Avatar als eine große Bereicherung. Das Mädchen fühlt sich durch den Avatar und die anderen eingesetzten Maßnahmen trotz der Distanz als Teil der Klassengemeinschaft. Besonders wichtig ist ihr die durch den Avatar ermöglichte aktive Teilnahme am Unterricht und die Interaktion mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. Das hilft ihr nicht nur fachlich, sondern auch emotional. Der Kontakt zur Schule ist insofern von großer Bedeutung, als er ein Stück Normalität in einer schwierigen Lebensphase vermittelt.

Wie gestalten Sie den Schulalltag für das schwerkranke Kind? Welche besonderen Aufgaben übernehmen Sie dabei?
Der Schulalltag ist für dieses Mädchen leider kein „Alltag“, ganz im Gegenteil. Jeder Tag ist anders, und man konnte bisher kaum vorausplanen. Durch den ständigen Kontakt mit der Mutter können wir den Unterricht von Tag zu Tag organisieren. Je nach Situation wird entweder der Avatar eingesetzt oder die Schülerin besucht die Krankenhausschule. Ergänzend verwenden wir für den Unterricht auch Teams.

 Worin besteht Ihre Aufgabe in diesem Rahmen?

Meine Aufgabe dabei ist es, diese Unterrichtsformen einzusetzen und sicherzustellen, dass die Schülerin in allen Fächern die Inhalte mitbekommt und keine Wissenslücken entstehen. Weiters kümmere ich mich darum, ihr alle benötigten Unterlagen digital oder in Papierform zur Verfügung zu stellen und ihre Arbeiten einzusammeln und den Fachlehrern weiterzugeben, damit diese den Lernfortschritt der Schülerin festhalten können.

Es ist mir ein großes Anliegen, der Schülerin das Gefühl zu vermitteln, Teil der Klassengemeinschaft zu sein, und dafür werden alle zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt. Das Ziel ist, ihr trotz der Situation ein möglichst normales Schulerlebnis zu ermöglichen und ihr sowohl fachliche als auch emotionale Unterstützung zu bieten.

Leider gibt es noch Situationen, in denen es schwierig ist, die Schülerin zu involvieren, wie zum Beispiel bei der Pause oder im Sportunterricht.

Wie lässt sich diese Einbindung außerhalb des Unterrichts sicherstellen?
Leider gibt es noch Situationen, in denen es schwierig ist, die Schülerin zu involvieren, wie zum Beispiel bei der Pause oder im Sportunterricht. Dennoch versuchen wir, durch kreative Lösungen den Kontakt der Schülerin zur Klassengemeinschaft zu fördern.

Wie hat sich Ihre Arbeit verändert, seit Sie mit einem Avatar und digitalen Hilfsmitteln arbeiten?
Mit digitalen Hilfsmitteln sind wir schon in der Covid-Zeit vertraut geworden. Der Avatar ist eine zusätzliche Neuerung. Große Veränderungen hat es nicht gegeben, ich muss nur den Unterricht noch bewusster planen und Materialien vorab digital bereitstellen und bin stärker in technische Abläufe eingebunden.

Was haben Sie durch diese besondere Arbeit über Inklusion und Integration gelernt?
Als Koordinatorin für Integration und Migration kann ich sagen, dass Inklusion und Integration zu meinen wichtigsten Anliegen gehören. Diese Erfahrung hat mich sicherlich geprägt. Inklusion ist nicht eine einzige, für alle gültige Lösung, sondern muss immer individuell gestaltet werden.

Welche Rolle spielen digitale Hilfsmittel bei der Inklusion?
Digitale Hilfsmittel sind sehr wichtig, um Barrieren abzubauen und es Kindern zu ermöglichen, trotz schwieriger Umstände aktiv am Leben der Gemeinschaft teilzuhaben, was ein wichtiger Bestandteil von Inklusion ist. Integration hängt stark vom Engagement und der Empathie aller Beteiligten ab.

Wie profitiert die Klasse von dieser Erfahrung?
Inklusion kommt der gesamten Klasse zugute. Die Kinder lernen, mit Unterschieden umzugehen, Rücksicht zu nehmen und Verantwortung zu übernehmen. Soziale Kompetenzen sind schließlich auch sehr wichtig, nicht nur die Vermittlung von Fachwissen.

Die Freude, die sie bei ihren Lernerfolgen zeigte, ist für mich unvergesslich.

Gibt es ein besonderes Erlebnis, das Ihnen aus Ihrer Arbeit besonders in Erinnerung geblieben ist?
Viele Momente meiner Arbeit als Integrationslehrerin sind für mich unvergesslich. Gerade im Bereich der Inklusion erlebt man immer wieder Situationen, die man für immer im Herzen tragen wird. Ein Erlebnis, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war ein gemeinsames Projekt, das wir parallel in den ersten Klassen durchgeführt haben.  Die Klassenverbände wurden geöffnet, und in neu zusammengesetzten Gruppen wurden mathematische Aufgaben gelöst. Unsere Schülerin konnte über den Avatar aktiv daran teilnehmen. Die Freude, die sie bei ihren Lernerfolgen zeigte, ist für mich unvergesslich.

Wie erleben Sie die emotionale Verbindung zwischen der Schülerin und der Klasse?
Die emotionale Verbindung zwischen der Schülerin und der Klasse ist eigentlich bemerkenswert. Die Mitschülerinnen und Mitschüler fragen regelmäßig, wie es ihr geht, und freuen sich, wenn sie wieder aktiv am Unterricht teilnehmen kann.

Wie wirkt sich diese Verbindung auf die Schülerin aus?
Diese Verbindung war in letzter Zeit leider eher selten möglich, aber wir freuen uns alle darauf, dass die Therapie dem Ende zugeht und es bald wieder besser wird. Unsere Schülerin wird dann hoffentlich regelmäßig am Unterricht teilnehmen können.

Was bedeutet diese Arbeit für Sie persönlich?
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, so weit wie möglich das Leben des Kindes in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen und zu erleichtern und der Familie behilflich zu sein.

Wie gehen Sie mit dieser Aufgabe emotional um?
Emotional ist es natürlich tiefgreifend. Ich bin von Natur aus sehr empathisch, manchmal vielleicht zu sehr. Es gibt Momente, in denen es mir nicht leichtfällt, mit der Situation umzugehen. Die häufigste Frage, die ich mir stelle, ist, ob ich genug tue und ob ich auf die Bedürfnisse eingehe. Es fällt mir nicht immer leicht, eine gewisse professionelle Distanz zu wahren, aber ich strenge mich an, da es für das Kind sicher wichtig ist.

Sehen Sie auch positive Aspekte in dieser Arbeit?
Für mich ist diese Arbeit eine große Chance, beruflich und auch persönlich zu wachsen.

INFO Redaktion

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