Alltagsintegrierte sprachliche Bildung im Kindergarten
Das Kind ist der Kompass
Im Kindergartensprengel Bozen findet seit mehreren Jahren eine intensive Auseinandersetzung über „Sprachliche Bildung“ statt. Die sprachliche Vielfalt, die uns im pädagogischen Alltag begegnet, bestätigt die Tatsache, dass Mehrsprachigkeit weltweit zunimmt. Schätzungen zufolge wächst mehr als die Hälfte aller Kinder inzwischen zwei- oder mehrsprachig auf. Dem Dialekt ist im Kindergarten besondere Bedeutsamkeit beizumessen.
In vertrauensvollen Beziehungen erproben Kinder Sprachen gern
Damit die alltägliche Kommunikation mit den Kindern für die sprachliche Bildung genutzt werden kann, ist es wichtig, eine gute Beziehung zum Kind aufzubauen. Eine grundlegende Voraussetzung dafür ist es, das Kind so anzunehmen, wie es ist und seine sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten wahrzunehmen, anzuerkennen und wertzuschätzen. Diese Fähigkeiten schließen alle Formen von Kommunikation mit ein und beziehen sich nicht ausschließlich auf die gesprochene Sprache, sondern auch auf die nonverbale Kommunikation, die als Vorläuferfähigkeit für den Spracherwerb und als Unterstützung der eigenen Kommunikation mit dem Kind genutzt werden kann. Gestik, Mimik und Stimme unterstützen die Bedeutung von Gesprochenem, lassen Rückschlüsse auf das Sprachverständnis ziehen und unterstützen die Gestaltung der Beziehungen zu den Kindern, besonders zu jenen, die selbst noch über keine aktiv gesprochene Sprache verfügen und am Anfang des Spracherwerbs in der Erstsprache stehen.
Die pädagogischen Fachkräfte versprachlichen ihr Tun in der Interaktion mit den Kindern im Alltag. Sie treten in entwicklungsangemessener Weise mit den Kindern in Kontakt, beschreiben Handlungen, geben Gefühlen einen Namen, übersetzen, interpretieren und wiederholen kindliche Sprachversuche korrekt artikuliert, schaffen vielfältige Sprachanlässe, sorgen für eine sprachanregende Gestaltung der Lernumgebung und nutzen die vertrauensvolle Beziehung zum Kind, um es einzuladen, selbst Sprache(n) zu erproben und deren Wirksamkeit zu erfahren.
Rituale geben beim Erlernen von Sprachen Halt
Tägliche Aktivitäten, wie Gartenaufenthalt, Mittagstisch und Übergangssituationen, werden im Kindergarten genauso als pädagogische Momente für die sprachliche Bildung erkannt und gepflegt, wie spezifische Lernmomente und gezielt geplante Aktivitäten. Mehrsprachige Kinder profitieren besonders davon, wenn sich im Alltag immer wieder Sprach-Rituale finden. So können sie sich in einer für sie verbal noch nicht erschließbaren Umgebung gut zurechtfinden. Lieder, Verse, Reime und Bilderbücher, deren Inhalte Wiederholungen bieten, geben den Kindern Sicherheit und Zeit, sich Inhalte in ihrem individuellen Rhythmus anzueignen.
Die sprachliche Entwicklung aller Kinder wird unterstützt, indem die pädagogischen Fachkräfte eine offene Haltung gegenüber allen Sprachen und Kulturen (vor-)leben.
Die Mädchen und Buben erweitern so nicht nur ihre sprachlichen Kenntnisse, sondern sammeln auch erste lustvolle Erfahrungen mit der Lese-, Erzähl- und Schriftsprachkultur. Gemeinsam Bilderbücher anschauen, Geschichten erzählen und regelmäßige Sprachanlässe schaffen, ermöglichen es dem Kind, seinen Wortschatz auszubauen und zu differenzieren.
Den komplexen Prozess des Spracherwerbs achtsam beobachten
Hinsichtlich der Wortschatzentwicklung zeigen Untersuchungen auf, dass Kinder einen größeren Wortschatz aufweisen, wenn die pädagogischen Fachkräfte feinfühlig und individuell auf Interessen und Themen der Kinder eingehen. Kinder zeigen besonders dann Interesse und Konzentration, wenn sie im Dialog ihren inneren Fragen und Themen folgen können. Die achtsame kindzentrierte Beobachtung ist dabei der Schlüssel, der die Tür zur kindlichen Welt öffnet und den komplexen Spracherwerb des Kindes verstehen lässt. Die sprachliche Entwicklung aller Kinder wird unterstützt, indem die pädagogischen Fachkräfte eine offene Haltung gegenüber allen Sprachen und Kulturen (vor-)leben. Eine explizite und respektvolle Anerkennung aller Sprachen und Familienkulturen führt dazu, dass sich jedes Mädchen, jeder Junge im Kindergarten willkommen und angenommen fühlt und weckt gleichzeitig auch das Interesse und die Lust der Kinder, Neues kennenzulernen. Neben all diesen wichtigen Bausteinen, die den Zwei- und Mehrsprachenerwerb unterstützen, ist und bleibt das Kind selbst Akteur seiner eigenen Bildung. Es eignet sich die Welt und die Sprache in einem selbsttätigen Prozess an. Die pädagogischen Fachkräfte unterstützen und begleiten das Kind. Sie schaffen im Kindergarten ein sprachanregendes Umfeld und bieten Initiativen an, die Bildungsprozesse in Gang setzen. Lernen kann das Kind schlussendlich aber nur von selbst. Wir dürfen nicht vergessen, dass der aktive Spracherwerb und Sprachaufbau in den Erst- und Familiensprache(n) Zeit braucht. Der Kindergarten trägt dafür Sorge, das Kind darin aktiv zu unterstützen, es zur Hochsprache hinzuführen und Zwei- und Mehrsprachigkeit von Kindern zu achten und bewusst zu begleiten. Er trägt dafür Sorge, dass das Kind Gelegenheiten bekommt, Sprache zu verstehen, sich auszudrücken und damit an der Gemeinschaft teilzuhaben. Das individuelle Lern- und Entwicklungstempo des Kindes, sein positives Selbstkonzept, seine Neugier und sein Lerninteresse sind der Kompass, den die pädagogischen Fachkräfte alltagsintegriert nutzen, um die sprachliche Bildung des Kindes erfolgreich zu begleiten und zu unterstützen.
Literatur
• Ritterfeld, Ute / Lüke, Carina (2011): Mehrsprachenkontexte. Erfassung der Inputbedingungen von mehrsprachig aufwachsenden Kindern. Verfügbar unter: http://www.sk.tu-dortmund.de/media/ other/Mehrsprachen-Kontexte.pdf (Stand 08.01.2021).
• Hofbauer, Christiane (2018): Sprachen und Kulturen im Kita-Alltag. 1. Auflage. Herder.