„Der Perspektivwechsel fasziniert mich“
Piero Di Benedetto ist seit Kurzem Schulinspektor für die staatlichen Oberschulen in Südtirol. Im INFO-Interview spricht er über die Aufgaben des Schulinspektorats, seine Beweggründe für den Wechsel und warum gesellschaftliche Bildung eine zentrale Rolle für ihn spielt.
Piero Di Benedetto ist gelernter Jurist. Parallel zu seinem Anwaltspraktikum begann er an der Fachoberschule für Tourismus und Biotechnologie mit Landesschwerpunkt Ernährung „Marie Curie“ (FOS) in Meran zu unterrichten. Von 2003 bis 2019 war er dort als Lehrer für Recht und Volkskunde und ab 2014 als Vizedirektor tätig. Im Herbst 2019 wurde er Direktor des Schulsprengels Meran Stadt, einer der größten deutschsprachigen Grund- und Mittelschulen in Südtirol. Später wechselte der gebürtige Vinschger als Direktor an die Wirtschaftsfachoberschule (WFO) in Meran.
Seine Begeisterung für Schulentwicklung und Bildungsprozesse zog sich wie ein roter Faden durch seine Laufbahn. Doch die Herausforderungen der Corona-Pandemie, insbesondere die damit verbundene Verwaltungsarbeit und der Umgang mit den Aufbaugeldern (PNRR), machten Di Benedetto klar, dass er nicht alle seine Ideen und Ziele als Direktor umsetzen konnte. Als ihn Schulamtsleiterin Sigrun Falkensteiner schließlich fragte, ob er sich eine Tätigkeit als Schulinspektor vorstellen könne, sah er dies als Anerkennung seiner bisherigen Arbeit und zugleich als spannende Herausforderung. Seit dem 1. September 2024 ist er Schulinspektor für die staatlichen Oberschulen und widmet sich nun Themen wie Qualitätsentwicklung, Beratung und gesellschaftliche Bildung auf einer übergeordneten Ebene.
INFO: Herr Di Benedetto, was macht eigentlich ein Schulinspektor?
Piero Di Benedetto: Das Schulinspektorat hat vielfältige Aufgaben. Wir sind die Stabsstelle der Landesschuldirektorin und arbeiten auch eng mit den anderen Landesdirektionen im Rahmen der Bildungsdirektion zusammen. Wir sind zudem eine Art Bindeglied zwischen der Schulamtsleitung, also der Landesschuldirektorin, und den autonomen Schulen sowie deren Führungskräften. Unsere Arbeit lässt sich in drei Hauptbereiche gliedern.
Erstens gestalten wir die Bildungspolitik mit, indem wir Expertisen zu aktuellen Themen erarbeiten, zum Beispiel im Bereich der Mehrsprachigkeit. Diese Arbeit ist oft Grundlage für politische Entscheidungen des Bildungslandesrats Philipp Achammer.
Der zweite Bereich ist die Schulaufsicht. Dazu gehört die Bewertung der Schuldirektorinnen und -direktoren, die einmal jährlich erfolgt, aber auch die Begutachtung von Reformprozessen oder Unterrichtsqualität in problematischen Fällen. Manchmal werden wir auch direkt von Direktionen gerufen, um bei Schwierigkeiten mit Lehrpersonen zu unterstützen.
Die dritte Säule unserer Arbeit ist die Begleitung und Beratung. Wir stehen nicht nur den Schulleitungen, sondern auch Eltern und Lehrpersonen zur Seite. Häufig nehmen wir dabei eine Mediationsrolle ein, etwa wenn Eltern mit Nachprüfungen unzufrieden sind oder bei organisatorischen und rechtlichen Fragen. Ich denke da zum Beispiel an einen konkreten Fall einer Schülerin mit besonderen Bedürfnissen, die an einer Maturareise teilnehmen sollte.
Was hat Sie an dieser Rolle besonders gereizt?
Es war vor allem der Perspektivwechsel, der mich fasziniert hat. Nach 17 Jahren als Oberschullehrer und fünf Jahren als Direktor hatte ich das Gefühl, das Schulsystem aus einer neuen, übergeordneten Perspektive verstehen zu wollen.
Als Direktor in Meran habe ich erstmals gesehen, wie unterschiedlich die Schwerpunkte in verschiedenen Schulstufen gesetzt werden. In der Grundschule geht es stark um Kernkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen, während in der Mittelschule andere Herausforderungen hinzukommen. Diese Unterschiede waren mir zuvor gar nicht bewusst, obwohl ich jahrelang im Bildungssystem gearbeitet habe.
Außerdem wollte ich mehr darüber erfahren, wie politische Entscheidungen zustande kommen und welche Vorarbeit dafür nötig ist. Bildungspolitik ist ein Bereich, der mich immer schon interessiert hat, und als Schulinspektor kann ich jetzt aktiv dazu beitragen.
Sie sind seit zwei Monaten im Amt. Wie ist Ihr erster Eindruck?
Ich befinde mich noch in einer Phase des Abtastens und Lernens. Als Schuldirektor war ich es gewohnt, ständig Entscheidungen treffen zu müssen und direkt in den Schulalltag eingebunden zu sein. Jetzt genieße ich es, mich erst einmal einarbeiten zu können, Abläufe und Menschen kennenzulernen und mich in einem neuen Team zurechtzufinden.
Ich bin sehr dankbar, Teil eines Teams zu sein, das einen engen Austausch pflegt. Wir haben regelmäßige Sitzungen, in denen wir uns gegenseitig beraten und unsere Erfahrungen teilen. Dieses Klima des Teamworks schätze ich sehr, da es eine andere Dynamik ist als in meiner vorherigen Rolle als Direktor, wo ich oftmals allein Entscheidungen treffen musste.
Welche Themen beschäftigen Sie und Ihr Team derzeit?
Die Aufgaben des Schulinspektorats sind nicht mehr so stark nach Fachbereichen aufgeteilt wie früher. Heute gibt es viele Querschnittsthemen, die uns alle betreffen, etwa Inklusion oder gesellschaftliche Bildung. Ein Beispiel: Obwohl ich vorrangig für Oberschulen zuständig bin, bringe ich meine Erfahrungen aus der Grund- und Mittelschule ein, wenn es um Themen wie Inklusion geht. Wir diskutieren diese Themen als Team und versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden, die für alle Schulstufen tragfähig sind. Im Oberschulbereich beschäftigen uns Themen wie die Flexibilisierung des Unterrichts und neue Formen der Berufs- und Studienorientierung. Natürlich ist auch das Thema der KI im schulischen Kontext ein immer präsenteres Thema.
Was ist Ihnen als Schulinspektor besonders wichtig?
Gesellschaftliche Bildung liegt mir sehr am Herzen. Es geht nicht nur darum, Wissen zu vermitteln, sondern auch Haltungen wie Respekt, Toleranz und Demokratiebewusstsein zu fördern. Das beginnt bereits in der Grundschule und setzt sich bis in die Oberschulen fort. Junge Menschen sind die einzige Gruppe in unserer Gesellschaft, die regelmäßig mit solchen Themen konfrontiert wird – sei es im Unterricht, in Projekten oder in Arbeitsgruppen. Das ist eine Chance, die wir nutzen müssen. Bildung ist mehr als das Vermitteln von Fachwissen, sie prägt auch Werte und Einstellungen.
Die größte Herausforderung sehe ich im strukturellen und gesellschaftlichen Wandel.
Wie fließen die Konzepte, die Sie erarbeiten, ins Schulsystem ein?
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: In meinem ersten Jahr als Direktor war ich Teil einer Arbeitsgruppe, die auf Anregung des Landesbeirats der Schülerinnen und Schüler entstand. Es ging darum, die sogenannte Bürgerkunde oder politische Bildung stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Auch Landesrat Achammer stellte die Frage, wie Bürgerkunde stärker in den Regelunterricht integriert werden könnte. Ziel der Arbeitsgruppe war es, Rahmenrichtlinien zu entwickeln, die Themen aus dem Bereich des gesellschaftlichen Lebens abdecken und altersgerecht gestaltet sind. Die Jüngeren interessieren sich beispielsweise nicht für Politik, sondern eher für Themen wie Mobilität, gesunde Ernährung, Bewegung oder Umweltschutz.
An dieser Arbeitsgruppe waren Vertreterinnen und Vertreter der Pädagogischen Abteilung, Schulführungskräfte und zwei Schulinspektoren beteiligt. So entstand das Konzept des übergreifenden Lernbereichs. Acht Themenkreise wurden definiert – in der Oberstufe etwa Finanzen, Wirtschaft und Recht. Dieses Konzept ist nun seit fünf Jahren im Einsatz. Aktuell wird darüber nachgedacht, wie es weiterentwickelt und verbessert werden kann. Dabei bin ich wieder involviert.
Was sind die aktuellen Herausforderungen für das Schulsystem in Südtirol?
Die größte Herausforderung sehe ich im strukturellen und gesellschaftlichen Wandel. Themen wie Mehrsprachigkeit und Migration bleiben weiterhin sehr wichtig, sind aber keine neuen Herausforderungen. Besonders gravierend sind die strukturellen Probleme bei der Personalfindung. Diese betreffen längst nicht mehr nur die Unterstufe oder technische Fächer. Selbst in Fächern, bei denen früher lange Wartelisten existierten, wird es zunehmend schwierig, geeignete Lehrkräfte zu finden.
Ein wesentlicher Punkt ist hier die faire Bezahlung: Lehrpersonen, Schulwarte und auch neue Berufsgruppen wie Schulsozialpädagoginnen und -pädagogen leisten enorm wichtige Arbeit. Doch deren Verträge spiegeln oft nicht die tatsächlichen Anforderungen wider. Es ist dringend notwendig, hier anzusetzen und Investitionen vorzunehmen. Ohne eine angemessene Entlohnung wird es schwierig, ausreichend qualifiziertes Personal zu gewinnen und die Qualitätsstandards zu halten.
Gibt es weitere Herausforderungen?
Ein großes Thema ist die Digitalisierung. Dank der PNNR-Förderung im Zuge der Covid-Pandemie sind die Schulen inzwischen im Bereich der Hardware gut ausgestattet. Jetzt geht es darum, das Personal entsprechend zu schulen, damit diese Geräte sinnvoll genutzt werden können. Es stellt sich auch die Frage, in welchem Ausmaß die digitalen Geräte im Unterricht verwendet werden? Hier gibt es Unterschiede, je nach Bildungsstufe.
Eine weitere Herausforderung liegt in der digitalen Bildung der jungen Generation. Unsere Aufgabe als Bildungseinrichtungen ist es, Schülerinnen und Schülern einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien, insbesondere mit sozialen Netzwerken, zu vermitteln. Dabei geht es nicht um Verbote, sondern um den Erwerb von Kompetenzen.
Zwar gelten junge Menschen als „digital natives“, doch in vielen Bereichen der digitalen Welt fehlt ihnen die notwendige Kompetenz. Hier sehe ich eine große Verantwortung für die Schulen und die Bildungszentrale, gezielt an dieser Förderung zu arbeiten.
Vor große Herausforderungen stellt uns das Thema der künstlichen Intelligenz. Vermutlich wird dies dazu führen, dass wir traditionelle Unterrichtskonzepte anpassen oder sogar überdenken müssen.