Herbsttagung der Schulführungskräfte

Die Zukunft der Schule  

Freitag, 10.1.2025

Anlässlich der Herbsttagung der Schulführungskräfte der deutschen Bildungsdirektion vom 14.-15. November 2024 hat der Soziologe und Politikwissenschaftler Roland Benedikter ein Impuls-Referat über „Gesellschaftliche Inklusion durch KI?“ gehalten.

Bei einem Besuch des deutschen Bildungsministeriums BMBF im Oktober in Berlin klagte mir eine der ranghöchsten Bildungsverantwortlichen des Landes: Ich bin verzweifelt. Ich bin für die Bildung in Deutschland verantwortlich. Doch meine Kinder, beide Anfang 20, wollen nicht studieren – und halten einen Großteil der Schule für überflüssig. Beide sagen: Wir haben ChatGPT und Künstliche Intelligenz. Wir brauchen kein Studium mehr. Wir haben alles Wissen der Welt jederzeit mit einem Knopfdruck in der Hand und können es mit KI auf jede beliebige Frage zuschneiden. Also können wir direkt in das Tun einsteigen, statt unsere Jahre mit Schule und Studieren zu verbringen.

Tatsächlich verlieren wegen der Chatbot- und KI-Revolution manche Universitäten heute bereits Studenten. Weltweit einflussreiche Zeit-Figuren wie Elon Musk erläutern sogar öffentlich immer wieder und seit Jahren, warum in Zukunft keine Hochschul- und Universitätsabschlüsse mehr benötigt werden: weil das dort bisher gelehrte Wissen ab jetzt von KI und Chatbots aufgenommen und für den Nutzer verarbeitet und massgeschneidert aufbereitet wird. Dieses Wissen erweise sich dabei immer mehr nur als ein Werkzeug – das es im übrigen immer war, nicht mehr und nicht weniger. Über die Güte einer Einstellung entscheiden dagegen Persönlichkeit und das Bemühen um Exzellenz.

Beides ist – Musks Meinung nach, die andere Umgestalter der Welt teilen – von einem Hochschulabschluss weitgehend unabhängig. Künftig komme es nicht mehr auf das bisherige Wissen noch auf gute Leistungen in bisherigen, meist eher passiven Lernformen an. Entscheidend seien vielmehr die drei klassischen drei Fragen, die auch bisher schon im Zentrum des stark individualisierten US-amerikanischen Selbstverständnisses standen: Wer bist du? Was willst du? Was kannst du? Das stellt das: Woher kommst du? – zum Beispiel von einer bekannten Universität – künftig immer stärker in den Schatten. In dieser Sichtweise kann künftig wegen der Allanwesenheit Künstlicher Intelligenzen auch Spezialkönnen im Tun erworben werden – womit Zeit für teure und langwierige Ausbildung gespart wird.

Paradoxerweise weisen Musk und Kollegen gleichzeitig aber eben wegen dieser Zukunftsvision dem primären und sekundären Erziehungsbereich, also der Schule, für die kommenden Jahre der hyperkonnektiven KI-Gesellschaft eine noch viel größere und wichtigere Rolle zu, als sie bisher innehatte. Laut Musk genügen in Bälde 12 bis maximal 13 Jahre Schule. Das sei genug Zeit, um die Persönlichkeit zu bilden und alles Nötige der neuen, ultratechnologischen und interaktiven Welt zu lernen – wenn denn die bisherigen Schulcurricula angepasst, das heisst verschlankt, modernisiert, globalisiert und „glokalisiert“ werden. KI würde dann als Ergänzung zu Schule dienen, aber auch in direkten Austausch mit ihr treten.

Und kein Zweifel: Die Künstliche Intelligenz-Revolution wird auch die Schule nach Innen verändern. Nach Erwartung von Pionieren wie Bill Gates wird schon bald jeder Schüler einen persönlichen KI-Assistenten erhalten. Dieser wird ihn lebenslang begleiten und ihm beim Lernen helfen, Stärken stärken und Schwächen ausgleichen. Er wird ihn aber auch im Alltag beraten. Der KI-Assistent wird sich dabei auf die Person des Schülers spezialisieren, von seinen Lebensformen lernen und ihm dadurch nach und nach immer ähnlicher werden. Wissens- und Erfahrungsvermittlung können dadurch vernetztem Selbstlernen Raum geben, was allerdings auch mit einer gewissen Perspektiven-Verengung verbunden sein wird.

Diese Neupositionierung des Schülers in seiner individuellen Verortung wird ein neues, kollektives Schul-Ökosystem umgeben, das stark auf intelligenten Technologien beruht.

Diese Neupositionierung des Schülers in seiner individuellen Verortung wird ein neues, kollektives Schul-Ökosystem umgeben, das stark auf intelligenten Technologien beruht. Augmentierte und virtuelle Realitäten zum interaktiven Lernen werden – so wie in der Medizinausbildung – breit Einzug halten. „Ernste“ 3D-Spiele mit holographischem Immersionscharakter, etwa in die Römerzeit als Händler, Soldat oder Sklave einer römischen Stadt, werden pädagogisch wichtig werden – und „Aktionslernen“ mittels Rolleneinnahme greifbarer als aus Büchern ermöglichen. Simulationen einer „zweiten Erde“ werden die globale Entwicklung einschliesslich Klimafrage in Realzeit dynamisch anschaulich machen – und bereits den Kleinsten ein globales Bewußtsein lebendig-unmittelbar erfahrbar machen. Und „Zukunftslaboratorien“ nach dem Modell der „Zukünfte-Alphabetisierung“ (Futures Literacy) von UNESCO und OECD werden einen stärkeren globalen Zukunftsfokus in die Schule bringen.

So könnten alle Schulen Zukunftsbeauftragte haben, und eine Ausbildung in Zukunftsbildung könnte zur Zugangsvoraussetzung für Schulführungskräfte werden. Die Schule wird mehr an inter- und trans-disziplinären Zukünften arbeiten als an Gegenwarten, wozu sie zwangsläufig die Vergangenheiten noch stärker präsent halten muss. Schule im KI-Zeitalter wird also eine Kombination aus Geschichte und Zukunft sein, was die Gegenwart handlungsorientiert inspirieren und durchsichtiger machen kann. Dem Ausbau des Geschichtsverständnisses werden neue Methoden der Zukunftswissenschaft beigegeben werden. All das wird – ähnlich wie auch in Sozialwissenschaften und Medien – dazu führen, dass KI im Idealfall dazu beiträgt, das heutige Zeitalter der Kombination von Ungewissheit und Beschleunigung, das Zukünfte immer schneller in die Gegenwart einbrechen lässt, bewältigbar zu halten. 

Der Mensch wird also in der „neuen Schule“ von Chatbots und KI nicht abgewertet, sondern massiv aufgewertet werden.

Die Folgen sind vielschichtig. Einerseits wird es in der „neuen Schule“ weit weniger Lehrer brauchen. Denn Wissensproduktion, Wissensvermittlung und Wissensverarbeitung werden von KI vorgenommen. Interessanterweise wird auch die Schulführungsebene, die heute die Vernetzung und das Management komplexer Prozesse leistet, vom Wandel nicht verschont bleiben. Denn das kann die „neo-kybernetische“ KI besonders gut. Doch andererseits wird die Person des Lehrers viel wichtiger werden. Denn Wissensbeurteilung und kritisches Denken werden unter KI-Bedingungen wichtiger als Wissensvermittlung werden, auch weil Wissen vielschichtiger und kontroverser wird. Der Umgang mit Wissen wird also auf eine kritische Meta-Ebene steigen. Das lässt die Person der Lehrerin, des Lehrers und der Schulführungskraft massiv aufsteigen. Sie wird gerade in KI-Schule und -Gesellschaft als entscheidend angesehen und hoch bezahlt werden.

Das „Warum“ dafür signalisiert uns bereits heute die Gehirnforschung. Sie zeigt empirisch auf, dass das Gehirn eines Schülers völlig unterschiedlich aktiv wird, wenn es Wissen von einem Chatbot oder einer KI erhält – oder aber von einem Menschen, der da ist und ihm in die Augen schaut. Im zweiten, menschlichen Fall zeigt das Gehirn eine viel reichere, kapillarere und stärkere Aktivität. Das ist darauf zurückzuführen, dass wir Menschen seit tausenden Jahren Evolution auf andere Menschen „gepolt“ sind.

Der Mensch wird also in der „neuen Schule“ von Chatbots und KI nicht abgewertet, sondern massiv aufgewertet werden. Beziehung wird eine Schlüsselrolle einnehmen, die sie bisher so gar nicht haben konnte. Eine weitere gute Nachricht könnte sein, dass die KI-Schule manche Schulkulturen aus bisherigen Blasen herausholen, sie politisch ausgewogener und mehr zum Spiegel der Gesellschaft als zu deren Erzieherin umwandeln könnte.

Auf der anderen Seite wird sich Schule hüten müssen, zu einer „Pädalgokratie“ zu werden – also einem Lernfeld, das von Algorithmen nicht nur bespielt und gefördert, sondern weitgehend bestimmt wird. Diese Verführung wird angesichts der raschen, ja laut manchen Experten zumindest teilweise exponentiellen KI-Entwicklung ständig im Raum stehen. Man sieht das heute schon im Hochschulbereich, wo professionlle Firmen nun individualisierte Chatbots für die PhD-Recherche anbieten. Bis Ähnliches in angepassten Formen das Berufsfeld Schule erreicht, etwa in Form von individualisierten Lehr- und Lernangeboten, ist es nur eine Frage der Zeit. Und wenn übereifrige Chatbot-Propheten wie der Leiter von Open-AI, des Mutterkonzerns hinter CatGPT, Sam Altman, davon träumt, dass künftig hochentwickelte Chatbots nicht nur 3000 mal intelligenter als jeder Lehrer sind, sondern auch so stark auf mich zugeschnitten sind, dass sie „alles von mir wissen“, um Wünsche bereits zu erfüllen, bevor sie der einzelne Mensch überhaupt äussert, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis im Erziehungsbereich Angebote eintreffen, die verlangen, „alles über den Schüler zu wissen“, um seine Lernanforderungen bereits vorherzusehen, bevor sie ihm selbst oder dem Lehrer überhaupt bewußt werden.

Wenn die Südtiroler Schule mehr in Zukunftsvorwegnahme investiert und Zukünften mehr Zeit für Diskussion einräumt, ist sie auf dem richtigen Weg.

Wenn Altman dann gleichzeitig fordert, man solle zum Erhalt der menschlichen Ebene in Zukunft gleich präventiv und universal Augenscans einführen und abspeichern, um Lebens- und Entwicklungszeiten mittels KI-Massenvergleich vorherzusehen und zugleich „Fälschungen“ von Leistungsnachweisen zu verhindern, dann ist das der falsche Weg. Denn er führt in eine Schule, in der das Menschliche zwangsläufig verschwinden müsste.

Zwischen einer solchen „Pädalgokratie“ und einer menschlichen Schule die Balance zu wahren, wird so oder so zur ständigen Herausforderung – und vielleicht auch zum nicht enden wollenden Tanz auf der Rasierklinge werden. Dieser Tanz könnte aber auch das Bewußtsein fördern – und vielleicht so manche bisherige Toxizität von Schul-Ökosystemen aufbrechen. Warum? Weil nun ständig Wichtigeres und Grundsätzlicheres auf der Tagesordnung des pädagogischen Bemühens steht.

Diese Themen treten nun auch in Südtirol in den Vordergrund. Folgerichtig waren sie Gegenstand der Herbsttagung der Schulführungskräfte der deutschen Bildungsdirektion vom 14.-15. November im Nobis in Bruneck. Sie hat inspirierende Perspektiven zutage gebracht. Sie zeigte: Probleme und Herausforderungen können – und werden – durch positive neue Möglichkeiten ergänzt werden. Wenn die Südtiroler Schule mehr in Zukunftsvorwegnahme investiert und Zukünften mehr Zeit für Diskussion einräumt, ist sie auf dem richtigen Weg.

Roland Benedikter ist Soziologe und Politikwissenschaftler an der Eurac in Bozen. Er hielt das Impuls-Referat „Gesellschaftliche Inklusion durch KI?“ bei der Herbsttagung der Schulführungskräfte. 

Roland Benedikter

Herbsttagung der Schulführungskräfte

„Glück“ im Mittelpunkt – für eine besondere Perspektive im Schulalltag

Freitag, 10.1.2025

Empathie, Resilienz und Selbstbewusstsein: Mit speziellen Unterrichtseinheiten zum Thema „Glück“ bringt Ilona Tröger, Lehrerin an der Grundschule in Welsberg, eine besondere Perspektive in den Schulalltag. Im Interview spricht sie über die Motivation hinter dem Projekt, die Gestaltung der Unterrichtseinheiten und darüber, wie Kinder lernen, achtsam mit sich und anderen umzugehen.

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