Herbsttagung der Schulführungskräfte
Die Zukunft der Schule
Anlässlich der Herbsttagung der Schulführungskräfte der deutschen Bildungsdirektion vom 14.-15. November 2024 hat der Soziologe und Politikwissenschaftler Roland Benedikter ein Impuls-Referat über „Gesellschaftliche Inklusion durch KI?“ gehalten.
Bei einem Besuch des deutschen Bildungsministeriums im Oktober klagte mir eine der ranghöchsten Bildungsverantwortlichen des Landes: Ich bin verzweifelt. Ich bin für die Bildung in Deutschland verantwortlich. Doch meine Kinder, beide Anfang 20, wollen nicht studieren – und halten einen Großteil der Schule für überflüssig. Beide sagen: Wir haben ChatGPT und Künstliche Intelligenz. Wir brauchen kein Studium mehr. Wir haben alles Wissen der Welt jederzeit mit einem Knopfdruck in der Hand und können es mit KI auf jede beliebige Frage zuschneiden. Also können wir direkt in das Tun einsteigen, statt unsere Jahre mit Schule und Studieren zu verbringen.
Tatsächlich verlieren wegen der Chatbot- und KI-Revolution manche Universitäten heute bereits Studentinnen und Studenten. Und kein Zweifel: Die Künstliche Intelligenz-Revolution wird auch die Schule verändern. Nach Erwartung von Pionieren wie Bill Gates wird schon bald jeder Schüler und jede Schülerin einen persönlichen KI-Assistenten erhalten. Dieser wird ihn und sie lebenslang begleiten und beim Lernen helfen, Stärken stärken und Schwächen ausgleichen. Er wird aber auch im Alltag beraten. Der KI-Assistent wird sich dabei auf die Person des Schülers und der Schülerin spezialisieren, von seinen Lebensformen lernen und ihm dadurch nach und nach immer ähnlicher werden. Wissens- und Erfahrungsvermittlung können dadurch vernetztem Selbstlernen Raum geben, was allerdings auch mit einer gewissen Perspektiven-Verengung verbunden sein wird.
Diese Neupositionierung des Schülers in seiner individuellen Verortung wird ein neues, kollektives Schul-Ökosystem umgeben, das stark auf intelligenten Technologien beruht. Augmentierte und virtuelle Realitäten zum interaktiven Lernen werden – so wie in der Medizinausbildung – breit Einzug halten. „Ernste“ 3D-Spiele mit holographischem Immersionscharakter, etwa in die Römerzeit als Händler, Soldat oder Sklave einer römischen Stadt, werden pädagogisch wichtig werden – und „Aktionslernen“ mittels Rolleneinnahme greifbarer als aus Büchern ermöglichen. Simulationen einer „zweiten Erde“ werden die globale Entwicklung einschliesslich Klimafrage in Realzeit dynamisch anschaulich machen – und bereits den Kleinsten ein globales Bewußtsein lebendig-unmittelbar erfahrbar machen. Und „Zukunftslaboratorien“ nach dem Modell der „Zukünfte-Alphabetisierung“ (Futures Literacy) von UNESCO und OECD werden einen stärkeren globalen Zukunftsfokus in die Schule bringen.
So könnten alle Schulen Zukunftsbeauftragte haben, und eine Ausbildung in Zukunftsbildung könnte zur Zugangsvoraussetzung für Schulführungskräfte werden. Die Schule wird mehr an inter- und trans-disziplinären Zukünften arbeiten als an Gegenwarten, wozu sie zwangsläufig die Vergangenheiten noch stärker präsent halten muss. Schule im KI-Zeitalter wird also eine Kombination aus Geschichte und Zukunft sein, was die Gegenwart handlungsorientiert inspirieren und durchsichtiger machen kann. Dem Ausbau des Geschichtsverständnisses werden neue Methoden der Zukunftswissenschaft beigegeben werden. All das wird – ähnlich wie auch in Sozialwissenschaften und Medien – dazu führen, dass KI im Idealfall dazu beiträgt, das heutige Zeitalter der Kombination von Ungewissheit und Beschleunigung, das Zukünfte immer schneller in die Gegenwart einbrechen lässt, bewältigbar zu halten.
Die Folgen sind vielschichtig. Einerseits wird es in der „neuen Schule“ weit weniger Lehrer brauchen. Denn Wissensproduktion, Wissensvermittlung und Wissensverarbeitung werden von KI vorgenommen. Interessanterweise wird auch die Schulführungsebene, die heute die Vernetzung und das Management komplexer Prozesse leistet, vom Wandel nicht verschont bleiben. Denn das kann die „neo-kybernetische“ KI besonders gut. Doch andererseits wird die Person des Lehrers viel wichtiger werden. Denn Wissensbeurteilung und kritisches Denken werden unter KI-Bedingungen wichtiger als Wissensvermittlung werden, auch weil Wissen vielschichtiger und kontroverser wird. Der Umgang mit Wissen wird also auf eine kritische Meta-Ebene steigen. Das lässt die Person der Lehrerin, des Lehrers und der Schulführungskraft massiv aufsteigen. Sie wird gerade in KI-Schule und -Gesellschaft als entscheidend angesehen und hoch bezahlt werden.
Der Mensch wird also in der „neuen Schule“ von Chatbots und KI nicht abgewertet, sondern massiv aufgewertet werden.
Das „Warum“ dafür signalisiert uns bereits heute die Gehirnforschung. Sie zeigt empirisch auf, dass das Gehirn eines Schülers völlig unterschiedlich aktiv wird, wenn es Wissen von einem Chatbot oder einer KI erhält – oder aber von einem Menschen, der da ist und ihm in die Augen schaut. Im zweiten, menschlichen Fall zeigt das Gehirn eine viel reichere, kapillarere und stärkere Aktivität. Das ist darauf zurückzuführen, dass wir Menschen seit tausenden Jahren Evolution auf andere Menschen „gepolt“ sind.
Der Mensch wird also in der „neuen Schule“ von Chatbots und KI nicht abgewertet, sondern massiv aufgewertet werden. Beziehung wird eine Schlüsselrolle einnehmen, die sie bisher so gar nicht haben konnte. Eine weitere gute Nachricht könnte sein, dass die KI-Schule manche Schulkulturen aus bisherigen Blasen herausholen, sie politisch ausgewogener und mehr zum Spiegel der Gesellschaft als zu deren Erzieherin umwandeln könnte.
Diese Themen treten nun auch in Südtirol in den Vordergrund. Folgerichtig waren sie Gegenstand der Herbsttagung der Schulführungskräfte der deutschen Bildungsdirektion vom 14.-15. November im Nobis in Bruneck. Sie hat inspirierende Perspektiven zutage gebracht. Sie zeigte: Probleme und Herausforderungen können – und werden – durch positive neue Möglichkeiten ergänzt werden. Wenn die Südtiroler Schule mehr in Zukunftsvorwegnahme investiert und Zukünften mehr Zeit für Diskussion einräumt, ist sie auf dem richtigen Weg.
Roland Benedikter ist Soziologe und Politikwissenschaftler an der Eurac in Bozen. Er hielt das Impuls-Referat „Gesellschaftliche Inklusion durch KI?“ bei der Herbsttagung der Schulführungskräfte.