Interview mit André Comploi
Gemeinsam Wege suchen

André Comploi leitet seit Kurzem die Direktion Ladinische Bildung und Kultur. Nach einer internationalen Karriere kehrt er zurück, um Bildung und Kultur seiner Heimat zu fördern. Im Interview spricht er über seine Ziele, Herausforderungen und die Bedeutung des gemeinsamen Handelns.
André Comploi ist der neue ladinische Bildungs- und Kulturdirektor. Diese Direktion, welche einem Ressort gleichgestellt ist, umfasst die Landesdirektion ladinische Kindergärten und Schulen, die Abteilung Ladinische Bildungs- und Kulturverwaltung, sowie die Landesevaluationsstelle für das ladinische Bildungssystem.
André Comploi hat Theater- und Musikwissenschaft an der Universität Wien studiert. Von 2010 bis 2020 war er Pressechef der Wiener Staatsoper, ab 2020 war er als künstlerischer Koordinator der Mailänder Scala tätig. Er ist Mitglied wissenschaftlicher Gremien zahlreicher Kultureinrichtungen in Italien und im Ausland und hat umfassende internationale Erfahrungen im Bereich der Kommunikation gesammelt. An verschiedenen Universitäten unterrichtete er Musikgeschichte und kulturelle Kommunikation. Zudem hat er mehrere Publikationen mit ladinischen Liedern, darunter auch für Kinder, herausgegeben und wissenschaftliche Beiträge zur ladinischen Musik- und Theatergeschichte verfasst. INFO hat Comploi zum Interview gebeten.
INFO: Herr Comploi, Sie haben eine beeindruckende Karriere im Kulturmanagement hinter sich. Was hat Sie dazu bewogen, die Leitung des Ressorts Ladinische Bildung und Kultur zu übernehmen?
André Comploi: Im Leben gibt es Momente, in denen man wichtige Entscheidungen treffen muss. Die ladinische Kultur lag mir stets am Herzen. Während meiner Karriere im Kulturmanagement habe ich immer wieder Projekte mit Bezug zur ladinischen Kultur umgesetzt, Bücher herausgegeben und Projekte ins Leben gerufen. Das war für mich eine konstante Leidenschaft.
Hinzu kommt, dass ich zwei Kinder habe, eines in der Grundschule und eines in der Mittelschule. Ich pendelte zwischen Mailand und Wien, bis meine Familie vor anderthalb Jahren nach Südtirol zog. Danach pendelte ich zwischen Mailand und Südtirol. Als sich diese Möglichkeit ergab, wurde mir bewusst, dass ich mich noch intensiver mit der ladinischen Kultur beschäftigen kann.
Außerdem halte ich Bildung für die Grundlage einer Gesellschaft. Ohne Bildung und Kultur stehen wir alle auf verlorenem Posten. Viele soziale und politische Probleme in der Welt hängen mit mangelnder Bildung und fehlendem kulturellen Bewusstsein zusammen. Mit meiner familiären Situation im Hinterkopf und der Möglichkeit, mich beruflich der ladinischen Bildung und Kultur zu widmen, wuchs dieser Entschluss in mir.
Gleichzeitig gab es an der Scala in Mailand einen Intendantenwechsel, der einen Wechsel leichter möglich machte. Ich hätte mich für einen Verbleib oder für ein anderes interessantes Angebot in der Opernwelt entscheiden können, habe aber letztendlich diese Möglichkeit ergriffen.

Sie haben international gearbeitet, unter anderem an der Wiener Staatsoper und der Mailänder Scala. Wie prägt diese Erfahrung Ihre neue Aufgabe?
Ich bin erst seit Beginn dieses Jahres in meiner neuen Position und habe großen Respekt vor der bisherigen Arbeit in diesem Bereich. Ich muss mich noch in viele Themen einarbeiten, insbesondere in den Schulbereich, der mir bisher weniger vertraut war.
Allerdings bringe ich einen Blick von außen mit. Oft sieht man bei bestehenden Herausforderungen den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Da kann eine neue Perspektive helfen. Meine Position ist nicht nur administrativ, sondern auch strategisch und eine Portion Kreativität schadet sicherlich nicht.
An der Scala habe ich nicht nur Verwaltungsaufgaben übernommen, sondern auch kreative und künstlerische Projekte initiiert. Diese Erfahrung kann im Kulturbereich hier in Südtirol von Vorteil sein. Ich sehe mich zudem als Partner für Vereine und kulturelle Initiativen.
Welche Prioritäten setzen Sie sich für die ladinische Bildungs- und Kulturverwaltung?
An erster Stelle steht der Dienst an den Bürgerinnen und Bürgern: Wir sind für Schülerinnen und Schüler, Direktorinnen und Direktoren, Lehrkräfte und alle Beteiligten im Bildungs- und Kulturbereich da.
Zweitens tragen wir Verantwortung für die Weiterentwicklung der ladinischen Kultur und Sprache. Beides gehört eng zusammen.
Unsere Herausforderung ist es, einerseits ein hohes Bildungsniveau zu halten und andererseits unsere ladinische Identität zu bewahren.
Die ladinische Kultur ist einzigartig, steht aber vor vielen Herausforderungen. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen – und Chancen?
Im Vergleich zur deutschen und italienischen Sprachgruppe sind wir eine kleine, aber komplexe Gemeinschaft. Unsere Herausforderung ist es, einerseits ein hohes Bildungsniveau zu halten und andererseits unsere ladinische Identität zu bewahren.
Besonders im Kontext der Mehrsprachigkeit ist es wichtig, eine Balance zu finden: Wir sollen offen für andere Sprachen sein, gleichzeitig aber unsere eigene Sprache und Identität pflegen. Zudem verändert der demografische Wandel unsere Gesellschaft: Südtirol ist nicht mehr nur von drei Sprachgruppen geprägt, sondern auch von anderen Kulturen. Hier sehe ich sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Unsere Mehrsprachigkeit kann uns eine Vorbildrolle geben.
Die ladinische Sprache spielt eine zentrale Rolle in der Identität der Region. Welche Maßnahmen planen Sie, um sie zu fördern und lebendig zu halten?
Das ist eine Suche – eine gemeinsame Suche, die ich nicht vorgeben werde. Es geht nicht darum, etwas von oben herab zu bestimmen, sondern gemeinsam Wege zu finden, damit sich die Menschen der Kraft und Bedeutung der ladinischen Sprache sowie ihrer eigenen Kultur und Geschichte bewusst werden. Ein zentrales Ziel ist es, Hilfsmittel zu erarbeiten, die diesen Prozess erleichtern. Wir müssen die Menschen mitnehmen und sie aktiv in die Weiterentwicklung und Förderung ihrer Sprache einbinden.
Wie kann die ladinische Kultur über die Täler hinaus sichtbarer gemacht werden?
Wir müssen die ladinische Kultur gezielt kommunizieren. Es reicht nicht aus, eine Pressekonferenz abzuhalten. Es gibt bekannte Künstlerinnen und Künstler, die sich eine internationale Karriere erarbeitet haben. Ich denke, eine unserer Aufgaben ist es, gemeinsame Initiativen zu fördern und zu bündeln und so die Sichtbarkeit der ladinischen Kunst und Kultur über unsere Täler hinaus zu stärken.
Die Kunstbiennalen in Gröden und im Gadertal, sind bereits erfolgreiche Plattformen und gute Beispiele dafür.
Mein Ansatz ist es, aktiv auf andere zuzugehen und zu fragen: Wo gibt es Berührungspunkte?
Sie haben betont, dass Ihnen eine gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten wichtig ist. Wie möchten Sie die Vernetzung zwischen ladinischen, deutschen und italienischen Institutionen fördern?
Der erste Punkt ist der Dialog. Mein Ansatz ist es, aktiv auf andere zuzugehen und zu fragen: Wo gibt es Berührungspunkte? Genau das habe ich bereits in meinen ersten Wochen als neuer Bildungs- und Kulturdirektor getan. Das entspricht auch meinem Naturell. Ich habe in Südtirol die Schule besucht, wurde dann in Wien, im deutschsprachigen Raum, sozialisiert und spreche Deutsch auf muttersprachlichem Niveau. Danach habe ich in Italien gearbeitet und mich intensiv mit der italienischen Kultur auseinandergesetzt. Ich bewege mich in allen drei Kulturen gleichermaßen und fühle mich in jeder davon zu Hause – meine Wurzeln und, wenn man so will, meine Seele ist natürlich Ladinisch. Zudem bin ich in verschiedenen Kommissionen und Beiräten tätig, wo ich natürlich den ladinischen Aspekt einbringe – beispielsweise im Universitätsrat. Doch mir geht es nicht nur um die Förderung meiner eigenen Kultur, sondern auch darum, Synergien für alle zu schaffen. Ich wiederhole mich bewusst: Es geht darum, das Gemeinsame zu betonen und das Trennende zu überwinden.
Welche Impulse möchten Sie im Bereich Jugendkultur setzen?
Die Jugend ist unsere Zukunft – ich bin selbst Vater. Unser Fokus muss auf dem Bildungs- und Schulbereich liegen. Es gibt bereits Vernetzungen, die jedoch noch ausgebaut werden können. Die Frage ist: Welche Angebote gibt es bereits in der Schule, und was kann man außerschulisch ergänzen? In diesem Bereich existieren verschiedene Projekte und wir haben auch konkrete neue Ideen, die ich aber noch nicht verraten darf.
Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, aber die zentrale Frage ist: Wie gehen wir damit um?
Die Digitalisierung verändert auch den Bildungs- und Kulturbereich. Welche digitalen Initiativen könnten für die ladinische Kultur und Bildung interessant sein?
Ich bin noch neu in meiner Position, deshalb will ich nicht vorschnell neue Maßnahmen fordern. Es gibt jedenfalls laufende Projekte, etwa die Nutzung künstlicher Intelligenz zur Unterstützung von Übersetzungen – ein durchaus herausforderndes Unterfangen. Während weitgehend automatisierte Übersetzungen zwischen Deutsch und Italienisch kein großes Problem darstellen, gibt es im Ladinischen vergleichsweise wenig Ausgangsmaterial – und zudem gibt es die verschiedenen Varianten – in Südtirol das Gadertalische und das Grödnerische – was die Sache komplexer macht.
Ganz allgemein ist es jedoch essenziell, in den Schulen, insbesondere an höheren Schulen, Hilfsmittel und klare Richtlinien für den Umgang mit digitalen Technologien zu entwickeln. Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, aber die zentrale Frage ist: Wie gehen wir damit um? Es ist entscheidend, dass wir sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schüler fit für diese Herausforderungen machen. Unser Ziel muss es sein, Kinder und Jugendliche zu kritischen, reflektierten Menschen zu erziehen. Was ist wahr, und was ist nur eine scheinbare Wahrheit? Ohne kritisches Denken können schnell problematische Entwicklungen entstehen – das sieht man heute in einigen Ländern sehr deutlich.
Welche Botschaft möchten Sie der ladinischen Gemeinschaft mit auf den Weg geben?
Wir Ladinerinnen und Ladiner haben einen großen Startvorteil, weil wir von klein auf mit mehreren Sprachen aufwachsen. Diesen Wert sollten wir als eine besondere Stärke begreifen. Gleichzeitig haben wir die Verantwortung, unsere eigene Sprache und Kultur bewusst zu leben und zu pflegen. Wenn wir diese beiden Aspekte – Offenheit und Identitätsbewusstsein – gleichermaßen stärken, dann geht es uns gut.