KI in Südtirols Schulen

Künstliche Intelligenz: (K)eine Chance für die Bildung? 

Freitag, 21.6.2024

Fluch und Segen: Stefan Kontschieder betont die Dualität von KI-Systemen in der Bildung. Der KI-Experte über die Implementierung von Künstlicher Intelligenz in der Schule, potenzielle Chancen und Herausforderungen. 

Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) im Südtiroler Schulunterricht bringt sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich. Eine der größten Herausforderungen besteht darin, sicherzustellen, dass Lehrpersonen über das nötige Wissen und die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, um KI-Technologien effektiv in den Unterricht einzubinden. Hierfür ist es wichtig, dass Schulen und andere Bildungseinrichtungen kontinuierlich Fortbildungen und Schulungen anbieten, die es Lehrpersonen ermöglichen, sich mit den Grundlagen der KI vertraut zu machen und ihre Kompetenzen in diesem Bereich regelmäßig aktualisieren zu können. 

Eine weitere Herausforderung ist sicher auch die Gewährleistung einer ethischen und verantwortungsvollen Nutzung von KI im Unterricht. Lehrpersonen müssen sich der potenziellen Risiken und Grenzen von KI-Systemen bewusst sein und sicherstellen, dass diese Technologien auf eine Weise eingesetzt werden, die den Lernprozess der Lernenden unterstützt und nicht beeinträchtigt. Dies erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und speziell auch den Grenzen von KI sowie die kontinuierliche Anpassung der offiziellen Richtlinien1/2 und Bereitstellung von Best Practices für den Einsatz dieser Technologien im Bildungskontext. Best Practices sind in einigen Microsoft Teams-Kanälen der deutschsprachigen Bildungseinrichtungen schon seit geraumer Zeit zugänglich.3 

Stefan Kontschieder

Trotz dieser Herausforderungen bietet die Integration von KI im Bildungsbereich auch zahlreiche Chancen. KI-gestützte Lernsysteme können beispielsweise dazu beitragen, den Unterricht zeitsparender an die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler anzupassen. Durch die Analyse von Lernfortschritten und -mustern können KI-Systeme Lehrpersonen dabei unterstützen, Wissenslücken zu identifizieren und gezielte Fördermaßnahmen zu ergreifen. Was die Frage nach der „Fitness“ von Südtirols Schulwelt im Umgang mit KI-Tools betrifft, so lässt sich feststellen, dass hier auch aufgrund der noch als relativ neu einzustufenden ChatGPT & Co-Anwendungen und deren rasante Entwicklung noch Verbesserungspotenzial besteht. Von persönlichen Rückmeldungen weiß ich, dass die KI viele Lehrpersonen heute schon konkret unterstützt. Beispiele: in der Unterrichtsvorbereitung, in der Erstellung von differenzierten Arbeitsaufträgen, Informationsblättern  und von Leistungsfeststellungen (alles auch in einfacher Sprache). Außerdem kann als Teil der KI der Einsatz von Natural Language Processing (NLP) die Bewertung von offenen Antworten und Aufsätzen unterstützen, indem die KI Rechtschreibung, Grammatik und inhaltliche Relevanz analysiert. Immer bis zu einem gewissen Punkt. Bei allen genannten Beispielen können sich die verschiedenen Chatbots und KI-Suchmaschinen wie ChatGPT4o, Microsoft Copilot, Google Gemini, Mistral.ai , Arc Search, Brave Search, Bing, Perplexity, You.com, Kagi, und Anthropic Claude in den Resultaten teilweise sehr differenzieren. 

Um die „KI-Fitness“ von Lehrpersonen und Lernenden weiter zu verbessern, sind gezielte Maßnahmen zur Förderung von KI-Kompetenzen erforderlich, wie sie oben beschrieben wurden und wie sie seit geraumer Zeit auch schon teilweise für die Lehrpersonen in Südtirol durchgeführt werden. 

In die Zukunft geschaut: ein konkretes Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von KI in Südtirols Schulen könnten künftig adaptive Lernsysteme sein, die sich an das Lerntempo und den Wissensstand der Schülerinnen und Schüler anpassen. Diese Systeme nutzen Algorithmen des maschinellen Lernens, um den Lernprozess zu optimieren und den Lernenden passende Aufgaben und Materialien zur Verfügung zu stellen. Studien haben gezeigt, dass der Einsatz solcher adaptiver Lernsysteme zu einer Verbesserung der Lernergebnisse und einer erhöhten Motivation der Lernenden führen kann. Gleichzeitig ist aber darauf zu achten, dass die Bildungschancen für alle Lernenden gleichbleiben. In Südtirol könnten dazu künftig LMS (Learning Management-Systeme) wie z. B. Moodle oder ILIAS4 eingesetzt werden.

Rein persönlich sehe ich in der Verwendung von KI für Lernende schon vor der Oberstufe einige kritische Punkte. Jüngere Kinder befinden sich noch in frühen Stadien der kognitiven Entwicklung. Sie lernen am besten durch direkte Erfahrungen und Interaktionen mit ihrer Umwelt. Der Einsatz von KI in diesem Alter könnte die natürliche Entwicklung von Problemlösungsfähigkeiten und kritischem Denken beeinträchtigen. In der Grund- und Mittelschule sollte der Fokus auf jeden Fall auf dem Erwerb grundlegender Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen liegen. Diese Fähigkeiten sollten zunächst ohne den Einsatz von KI gefestigt werden, um ein solides Fundament für späteres Lernen zu schaffen. Weiters benötigen Schülerinnen und Schüler ein gewisses Maß an technischem Verständnis und Medienkompetenz, um KI-Systeme effektiv nutzen zu können. Sie müssen in der Lage sein, die Grenzen und möglichen Fehler von KI zu erkennen und die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Diese Fähigkeiten entwickeln sich erst mit zunehmendem Alter und Reife. Die Lernenden sollten zunächst lernen, selbstständig Aufgaben zu bearbeiten und eigene Lösungswege zu entwickeln. Der vorschnelle Einsatz von KI könnte dazu führen, dass sie sich zu sehr auf die Unterstützung durch die Technologie verlassen und weniger eigenständig denken. 

KI generiert, erstellt mit leonardo.ai. Prompt: Erstelle ein Bild von den Dolomiten mit Dinosauriern

In Zukunft muss es für jüngere Lernende ein KI-Tutoring geben, das die Schülerinnen und Schüler beim Lernen unterstützt. Hier bräuchte es ein ausgewogenes Zusammenspiel von KI und menschlicher Zuwendung und Anleitung. Nur so kann das Potenzial der Technologie genutzt  und gleichzeitig der ganzheitliche Bildungsanspruch gewahrt werden.

Interessant hierbei zu beobachten, wie sich z.B. das EU kofinanzierte Projekt AI4EDU.eu entwickelt (Abschluss 2026). Ziel dieses Projektes ist es, sowohl Lernende als auch Lehrpersonen durch innovative KI-gestützte Konversationsassistenten den Lern- und Lehrprozess zu erleichtern und zu verbessern. Diese Assistenten sollen in der Lage sein, mit Personen zu interagieren und dabei als engagierte, flexible und zuverlässige Partner zu fungieren. Es gibt zwei technische Lösungen, die im Rahmen des Projekts entwickelt werden:

Study Buddy: dieser Assistent unterstützt Schülerinnen und Schüler beim Zusammenfassen von Inhalten aus Lehrbüchern und erklärt Schlüsselkonzepte basierend auf einem pädagogischen Rahmen und lehrplanrelevanten Lernszenarien in verschiedenen Schulfächern.

Teacher Workmate: dieser Assistent hilft Lehrpersonen bei Bewertungsaufgaben, wie dem Erstellen und Verwalten von Fragen, der Benotung von kurzen offenen Antworten und der Nachverfolgung des Lernfortschritts der Schülerinnen und Schüler.

Der Einsatz muss dann sicher auch pädagogisch-didaktisch durchdacht und von einem gesellschaftlichen Diskurs über Chancen und Grenzen begleitet werden.  

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Integration von KI im Bildungsbereich ein wichtiger Schritt ist, um Schülerinnen und Schüler auf die Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Welt vorzubereiten. Durch den Einsatz von KI-Technologien können Lernprozesse optimiert, individualisiert und effektiver gestaltet werden. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Lehrpersonen und Lernende über die nötigen Kompetenzen verfügen, um diese Technologien sinnvoll und verantwortungsvoll einzusetzen. Hierfür sind Investitionen in die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen sowie die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und Infrastrukturen unerlässlich. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Integration von KI im Bildungsbereich dazu beitragen, die Qualität und Zukunftsfähigkeit des Bildungssystems in Südtirol nachhaltig zu verbessern. 

Fußnoten

1 Richtlinien der Deutschen Bildungsdirektion: https://deutsche-bildung.provinz.bz.it/de/ki-in-schule-und-unterricht

2 EU AI Akt, dieser muss von Italien und den anderen EU-Mitgliedsländern noch in nationales Recht übernommen werden https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/digitalisierung/kuenstliche-intelligenz/ai-act-2285944 (die offizielle EU-Webseite ist noch nicht aktualisiert worden)

3 Beispiel Team #deutschunterricht, dort der Kanal „Digitales Lehrerzimmer“

4 Beispiel Lernplattform ILIAS in www.copernicus.bz.it

Stefan Kontschieder

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