Kindergarten: Kreatives Feld für alle
Wie die Welt sein könnte
Kreativität bezeichnet die Eigenschaft eines Menschen, schöpferisch oder gestalterisch tätig zu sein und dabei etwas zu schaffen. Kreativität prägt den Alltag im Kindergarten – und zwar den der Kinder genauso wie den der Erwachsenen.
Georgs Augen leuchten und seine Hände formen nahezu seine Gedanken, wenn er sagt: „Im Kopf kann ich mir alles ausdenken. Ich kann mir vorstellen, ich mache einen Menschen mit Rädern oder ich mache ihm die Füße auf dem Kopf. Ich kann mir sogar ein Ufo ausdenken, mit dem ich um die Welt fliege.“
Barbara sagt mit Begeisterung: „Ich kann auch einen Menschen mit einem anderen Gesicht erfinden: Anstatt die Augen so hin und her, kann ich sie von oben nach unten zeichnen und beim Kopf die Hände
hinaus. So ein Mensch kann anders sehen, anders spielen und der Kopf kann den Händen schneller sagen, was sie tun sollen.“ Benedikt hört den anderen Kindern interessiert und nachdenklich zu, dann fasst er mit eigenen Worten zusammen: „Das hab’ ich ja gemeint: Wir können uns alles ausdenken. Alles, was es nicht gibt, können wir erfinden. Ist das nicht toll? Beim Denken, Reden, Basteln, Malen und Spielen kann alles passieren, was ich mir vorstelle, auch wenn es nicht echt ist. Man kann sich eine Schlange mit Flügeln ausdenken, ein Haus mit Beinen und ein Auto mit viereckigen Rädern. Dann kann man probieren, es selber zu machen, dann wird das, was man sich ausdenkt, echt.“
Freiraum und Muße beflügeln kreatives Schaffen
Alles, was vom Kind neu geschaffen wird, muss in seiner Umwelt Platz und Anerkennung finden. Die Entfaltung von Kreativität ist in starkem Maße von der Umgebung abhängig, in der das Kind lebt und erlebt, spielt und ist. Eine Aufgabe für uns Erwachsene ist es also, das Umfeld des Kindes entsprechend aufzubereiten und zu gestalten. Die Reformpädagogin Maria Montessori misst der „vorbereiteten Umgebung“ eine ganz besondere Rolle zu. Das Kind braucht günstige Rahmenbedingungen für sein Schaffen: eine herausfordernde und anregende Umwelt, die sich an den Bedürfnissen des Kindes orientiert und vielfältige Sinneswahrnehmung ermöglicht, vielfältige Materialien, die Möglichkeiten offen lassen, veränderbar sind und frei zur Verfügung stehen, die notwendigen technischen Hilfsmittel und Werkzeuge und die Freiheit seine Aktivitäten selber wählen zu können. Vor allem braucht das Kind Erwachsene mit einer pädagogischen Haltung, aus der heraus sie dem Kind etwas zutrauen, es unterstützen, es herausfordern, es stärken und anerkennen.
Das Kind muss empfinden, dass es im Erwachsenen einen Partner hat, der es am Leben teilhaben lässt. Auch bei der Verteilung der Aufgaben muss das Kind als wirklicher Partner anerkannt werden. So hat das Kind die Möglichkeit, in seine Rolle hineinzuwachsen; es erlangt Selbstvertrauen und entwickelt Sicherheit und Selbstständigkeit.
Das In-Frage-Stellen zählt zu den kreativsten Arbeitsformen.
Herta Petermair, Kindergartensprengel Neumarkt
Kindliche kreative Denkprozesse und eigenständiges Tun brauchen Freiheit und Zeit, gleichzeitig Denkanstrengung, angespannte Aktivität, meditierende Reflexion und für den schöpferischen Einfall die nötige Muße.
„Wir Erwachsene sind auch alle einmal Kind gewesen, aber keiner erinnert sich daran“, so heißt es im „Kleinen Prinzen“.
Wir sollten uns daran erinnern …
Wir sollten uns doch daran erinnern, dass wir vielleicht gerne durch die Pfützen gestapft sind, dass wir gerne im Matsch gespielt haben, dass wir gerne mit unseren Fingern die Teigschüssel ausgeschleckt haben, dass unsere Hosentaschen überquollen vor lauter „Schätzen“, dass wir alles anfassen wollten und es, wenn möglich, auseinandernahmen, dass wir gerne auf Bäume
kletterten, dass wir es liebten, von Erwachsenen unbeobachtet zu spielen, dass ernsthafte Teilnahme am Tun der Erwachsenen uns Lernfelder eröffnete, dass wir freie Zeiten ungezwungen mit anderen Kindern verbringen konnten, wobei Spiele aus „Nichts“
entstanden, dass wir kreativ sein mussten, um uns zu verteidigen, uns zu beteiligen und
weiterzukommen. Und dass wir Fragen stellen mussten, um zu Antworten zu kommen.
Das Staunen, das Fragen, das In-Frage-Stellen – sind die drei Grundelemente kreativen Verhaltens. Das Staunen ist Auslöser für kreatives Erfassen und Erleben und gibt immer wieder neuen Anreiz zum weiteren Experimentieren. Die Freude am Experiment beflügelt; die Tatsache, noch nicht alles zu wissen, motiviert. Warum- und Wenn-Fragen können oft ins Endlose führen
und vielfältige und neue Denkweisen eröffnen. Neue Alternativen tun sich auf, utopische Gedankensprünge, Einsatz von Fantasie und Spontaneität sind möglich. Diese drei
Verhaltensformen sind beim Kind angelegt.
Es liegt am Umfeld und an den Menschen, die das Kind begleiten, im weitesten Sinne an
der Gesellschaft, was daraus entsteht.
Von den Kindern lernen
Das Kind erlebt in einem entspannten Umfeld gute Voraussetzungen für die Entfaltung seiner einzigartigen Erlebnisfähigkeit, Aufnahmebereitschaft und Interessenshaltung, die es ihm möglich machen, sich der Welt gegenüber staunend und fragend zu verhalten. Entdeckendes Lernen sowie Erfahrungslernen sind die eigentlichen Lernmethoden in der frühen Kindheit. Die
Verhaltensbiologin Gabriele Haug Schnabel appelliert an uns Erwachsene, indem sie sagt: „Pädagoginnen und Pädagogen sind nicht Macher, sondern Möglichmacher.“
Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen, die Gesellschaft allgemein, prägen den Lebensraum des Kindes. Die Erfahrungen, die das Kind in diesem Lebensraum macht, sind richtungsweisend. Wollen wir die frühe Kindheit wirklich nützen, so brauchen wir eine kreative Umgebung mit dem Ergebnis: kreative Kinder und kreative Lernbegleiter und -begleiterinnen, die warten und beobachten können, die dem Kind Zeit zum eigenen Entdecken lassen. Ihr Ziel muss sein,
selber zu innerer Freiheit zu gelangen, Aufgeschlossenheit zu erlangen und eine Veränderung von pädagogischen und didaktischen Routinehaltungen zu wollen. Kinder und Erwachsene werden dann mehr Freude am Lernen und der Arbeit gewinnen. Es wird zu kreativen Lerngemeinschaften und zu wechselseitiger Motivation kommen.
Selbstreflexion, Kritikfähigkeit und der Mut zur Veränderung sind entscheidende kreative Fähigkeiten. Konflikttoleranz und Vitalität sind individuelle Persönlichkeitseigenschaften, die das kreative Potenzial eines Kindes – des Menschen ganz allgemein – beeinflussen und begünstigen. Offen sein ist eng damit verknüpft, gegenüber Problemen geistig flexibel zu reagieren und über den eigenen Tellerrand zu schauen.
Kreativität ist die Fähigkeit, sich vorzustellen, wie Dinge sein könnten.
Herta Petermair, Kingergartensprengel Neumarkt
Aus dieser Perspektive sind Kindergarten und Schule kreative Lernfelder für uns Erwachsene. Kreative Erwachsene wiederum sind die besten Lern- und Lebensbegleiter für heranwachsende kreative Kinder.