Über die notwendige Zusammenschau der Bildungsorte
Zerbrecht euch die Köpfe
Die Schule nimmt einen immer breiteren Raum im Leben der Menschen ein. Die Gesellschaft wälzt immer mehr Aufgaben auf sie ab. „Das soll die Schule machen“, wird salopp gefordert. Das ist nicht notwendig, meint Klaus Nothdurfter, ehemaliger Direktor des Amtes für Jugendarbeit.
Alle, die Heranwachsende in irgendeiner Form begleiten, sollten sich fortwährend die Frage stellen: Wie können wir alle miteinander dazu beitragen, es den Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, das zu lernen und zu erfahren, was sie für ihr Leben brauchen. Und dabei ist es mir besonders wichtig, die große Unterschiedlichkeit unter Menschen zu berücksichtigen, mit der größten Gewissenhaftigkeit darauf zu schauen, dass jedes Kind, jede und jeder Jugendliche das bekommt, was ihr und ihm – individuell – gerecht wird. Auf dem Weg des Lernens und Erfahrens dürfen wir niemanden verlieren. Darauf müssen wir sorgfältig achten. Wenn wir das zu unseren Ansätzen machen, dann kommen wir schnell zum Schluss: Wir kommen nicht umhin, in der Dimension von Partnerschaft zu denken: von Lernpartnerschaften zwischen schulischer und außerschulischer Welt. Niemand ist allein dafür verantwortlich, dass es den Kindern und Jugendlichen gut geht. Diese Verantwortung müssen alle gemeinsam tragen. Wir brauchen Bildungspartnerschaften, eine Begegnung aller Akteurinnen und Akteure auf Augenhöhe, getragen von gegenseitiger Wertschätzung und von wechselseitigem Respekt.
Niemand ist allein dafür verantwortlich, dass es den Kindern und Jugendlichen gut geht. Diese Verantwortung müssen alle gemeinsam tragen
Ganz gleich, ob Lehrerinnen und Lehrer, Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter in der Jungschar oder Trainerinnen und Trainer im Sportverein. Handelt es sich doch bei allen um engagierte Fachkräfte, die das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen.
Überfordert? Unterfordert?
Eltern, Familien, Schule, Jugendarbeit, Kultur und Sport sollten sich permanent in einem kritischen Dialog darüber befinden, was alle Kinder und Jugendliche in der heutigen Zeit brauchen, um ein erfülltes Leben zu führen. Was können sie wo lernen und erfahren? Und wie? Darüber können und müssen wir uns den Kopf zerbrechen. Darüber lässt sich vortrefflich „streiten“. Tun wir es.
An den Diskussionen rund um diese Fragen müssen wir auch die Kinder und Jugendlichen selbst teilhaben lassen. Wir müssen die Einrichtungen, die sie besuchen, partizipativ gestalten. Sie sollen mitreden und zunehmend auch mitentscheiden können, was die Ziele ihrer Bildungsprozesse sein sollen und wie die Wege dahin gestaltet werden können und müssen.
Ein Thema ist das große Kapitel Leistungsgesellschaft: Höher, weiter, schneller.
Ein Thema in diesem Zusammenhang ist das große Kapitel Leistungsgesellschaft. Höher, weiter, schneller oder schöner, reicher, geiler gilt auch für Kinder und Jugendliche. Sie reagieren unterschiedlich darauf: Manche fühlen sich überfordert, sie spüren zu starken Druck und leiden darunter. Es gibt aber auch junge Menschen, denen mehr zugetraut werden dürfte, die Leistungsanreize und Förderungen geradezu brauchen. Da gilt es, genauer hinzuschauen. Auch deswegen, damit Ungleichheiten abgebaut und Chancengleichheiten gefördert werden können.
Das Lernen anhand authentischer Erfahrungen ist wichtig
Etwa in der Jugendarbeit, ganz gleich, ob in der verbindlichen oder offenen, finden Jugendliche sehr gute Bedingungen, um sich grundlegende Kompetenzen anzueignen, wie etwa Sozialkompetenz und Projektmanagement. Jungscharleiterinnen und -leiter machen prägende Erfahrungen und erwerben Kompetenzen, die so nur in diesem Setting zu haben sind. Ebenso Projektleiterinnen und Projektleiter in Jugendzentren.
Was sie lernen, geht weit über die fachlichen Fähigkeiten hinaus. Die Jugendlichen eignen sich die sogenannten weichen Fähigkeiten – Soft Skills – an. Dazu gehört: Sensibel werden für die Bedürfnisse der Gruppe und aufmerksam sein für die soziale Dimension des Menschen – wichtig in allen Lebensbereichen. Ein Beispiel: Wenn Jugendliche ein Zelt- oder Hüttenlager planen, organisieren, durchführen, leiten und nachbereiten, dann ist das Projektmanagement in Reinkultur. Dabei werden Lernprozesse freigesetzt, die einzigartig sind.
Deshalb ist es wichtig, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, sodass junge Menschen sich gut entwickeln können, die ihnen Mut machen, die in ihnen die Lust wecken, Verantwortung zu übernehmen. Es darf ihnen nicht durch übermäßige Vorschriften, Bürokratie und Haftpflicht das Leben schwer gemacht werden
Mut machen und Lust auf Verantwortung wecken.
Noch ein Beispiel: Wenn Jugendliche in die Vorstände von Jugendorganisationen, Jugenddiensten oder Trägervereinen der Jugendzentren gewählt werden, dann übernehmen sie ein Stück weit gesellschaftspolitische Verantwortung und erleben und leben Demokratie. Wenn junge Menschen bereit sind, gesellschaftliches Leben in Vorständen verantwortlich mitzugestalten, dann ist das in hohem Maße zu unterstützen. Ehrenamtliches Engagement fördert soziales Gewissen und politisches Denken und birgt ein großes Lernpotenzial.
Ich erwarte mir, dass die in der Jugendarbeit gemachten Erfahrungen, das von den Jugendlichen gewonnene Wissen auch von der Schule wahrgenommen und integriert wird. Kinder und Jugendliche brauchen ein vielfältiges, buntes und breit gefächertes Bildungs- und Lernangebot. Und diese Vielfalt muss aktiv gefördert werden. Da liegt ein Stück Verantwortung auch bei der Schule, dem stärksten Bildungsträger, der darauf zu achten hat, das Leben von Kindern und Jugendlichen nicht zu dominieren, sondern freie Zeiten und freie Räume für wertvolles Erfahrungslernen vorzusehen.
Schule sollte das Leben von Kindern und Jugendlichen nicht dominieren, sondern freie Zeiten und freie Räume für wertvolles Erfahrungslernen vorsehen.
Kinder und Jugendliche brauchen Freiräume, durch die sie Handlungsebenen aufbauen können, die selbstbestimmt, demokratisch und sozial orientiert sind. Da eröffnen sich dann Lernfelder, die beflügeln.
Drei Dinge braucht jedes Kind
Das aktuelle Leitbild der Jugendarbeit in Südtirol folgt einem Zitat von Gerald Hüther: „Eigentlich braucht jedes Kind drei Dinge: Es braucht Aufgaben, an denen es wachsen kann, es braucht Vorbilder, an denen es sich orientieren kann, und es braucht Gemeinschaften, in denen es sich aufgehoben fühlt.“
Diese drei „Dinge“ stellen für uns, die Jugendarbeit, eine große Herausforderung dar. Sie eröffnen ungeahnte Perspektiven und können die Basis sein für den Dialog zwischen all den Bereichen, in denen sich Kinder und Jugendliche bilden und wachsen. Es geht um die Fragen: Wie können diese Bereiche einander ergänzen und stützen? Wo kann was und wie gefördert werden? Wie lassen sich Kooperationen gestalten?
Da mir das Wohlergehen unserer Kinder und Jugendlichen am Herzen liegt, hoffe ich auf eine starke Vernetzung zwischen all den unterschiedlichen Bildungsbereichen in unserer Gesellschaft.